: Eine Amerikanerin in Berlin
Ich liebe Jack Valenti, den Präsidenten des amerikanischen Filmverbands. Nicht weil er in seiner Pressekonferenz zum Thema „GATT und amerikanisch-europäische Filmpolitik“ Goethe zitierte. Und auch nicht, weil er sagte, die US-Filmindustrie wolle Frieden mit Europa (das Versprechen von „Frieden für unsere Zeit“ klingt mir irgendwie bekannt). Warum sollte er das nicht sagen, da die amerikanischen Firmen doch jetzt ihre eigenen Koproduktionen mit europäischen Produzenten veranstalten? Ich liebe Jack Valenti auch nicht, weil er sagte, er habe nichts gegen europäische Quoten für US-Filme, und für die europäischen Filmsubventionen sei er auch. Und auch nicht, weil er sich von Europa lediglich wünscht, daß ein paar Kanäle auf dem bevorstehenden „Glasfaser-Mediensuperhighway“ ohne Quoten für US-Filme freiblieben. Und nicht, weil er in der — vermutlich verlorenen — Schlacht gegen eine staatliche Regulierung der TV- und Filminhalte in der ersten Reihe stand, wofür er sich meine Achtung erwarb. Nein, ich liebe Jack Valenti, weil meine Berliner Freunde mein Deutsch für noch so mies halten mögen — seins ist mieser. Endlich mal jemand, der schlechter ist als ich.
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Seit ich schrieb, Deutschland habe mit Nichtraucher-Ecken und Flughafenschlamperei seinen Nationalcharakter aus Dekadenz und Tüchtigkeit eingebüßt, stehe ich in der Schußlinie. Unablässig stellt man mich wegen meiner Vorurteile zur Rede — selbst Leute, die ich überhaupt nicht kenne, sprechen mich im Presse-Cafe an. Aufgemerkt nun also: Ich habe keine Vorurteile gegen Deutsche. Ich bewundere sie. Nicht jede Nation kann dekadent und tüchtig zugleich sein. Außerdem: wenn deutsche Tüchtigkeit nur eine Stereotype ist, warum hat sich dann meine Redakteurin eine minutiöse Aufstellung aller Festival-Vorführungen in ihr Notizbuch gemalt? Und was Deutschlands dekadenten Ruf angeht: als ich bei einer Radiosendung meinem Gesprächspartner in New York von der neuen Raucherregelung im Presse-Cafe erzählte, meinte er, es müsse natürlich zwei Raucher-Ecken geben: eine für Raucher und eine für Kettenraucher.
Aber um zur Frage der Vorurteile zurückzukommen. Ich habe keine Vorurteile gegen die Deutschen. Ich habe Vorurteile gegen die Franzosen. Jeder sollte sich einen irrationalen Haß zulegen, und das ist eben meiner — ein Ergebnis der Berichterstattung vom Filmfestival in Cannes. Für den Job sollte die französische Regierung Kriegsentschädigung zahlen. Es ist völlig egal, daß die Franzosen guten Wein, guten Käse und gute Filme machen, denn Leistungen haben gegen Haß noch nie etwas ausrichten können. Die Weißen glauben, daß die Schwarzen Rhythmus im Blut haben, aber den Rassismus beeinflußt das nicht. Nicht egal ist, daß ich meinem Spleen gegen die Franzosen freien Lauf lasse. Wenn ich in schlechte Stimmung gerate, zum Beispiel weil deutsche Zuschauer von dem israelischen Filmemacher Amos Gitai verlangen, er hätte in seinem Dokumentarfilm über Skinhead-Gewalt in Wuppertal die Neonazis fair behandeln sollen, dann schimpfe ich nicht über die Deutschen. Ich lasse mich nicht über den zweiten Weltkrieg, rassistische Erinnerungen oder die autoritäre Persönlichkeit aus. Ich schimpfe über die Franzosen. Sicher können die Deutschen begreifen, daß das ein hervorragendes System ist. Wenn noch jemand Fragen hat: Ich bin im Presse-Cafe zu finden, Raucher-Ecke.
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Zafranovics „Testament“ ist der scharfe Blick eines Dokumentarfilmers auf Dokumentarfilme. Unter Verwendung von Propaganda-, Dokumentar- und fiktivem Filmmaterial über die kroatische Kollaboration mit den Nazis stellt Zafranovic nicht nur Fragen, sondern macht auch das fundamentale Problem der Bilder deutlich: Wann lügen sie, wann zeigen sie die Wahrheit? Können wir den Unterschied erkennen, und wessen Wahrheit ist es? Die Informationen, die sich 1942 der Nazi-Zuschauer aus einem Nazi-Propaganda-Film verschaffte, unterscheiden sich von den Informationen, die heute Besucher von Filmfestivals, Serben und Skinheads aus den gleichen Bildern beziehen. Wie kann der Filmemacher die Verantwortung für den Unterschied tragen, und sollte er das überhaupt?
Zafranovic macht gar nicht erst den Versuch, und die Bilder provozierten das Publikum wohl genau so, wie Zafranovic das wollte. Der Film — die Auswahl und Zusammenstellung der Bilder — zeigt seine Wahrheit, und das ist sein Vorzug und auch sein Problem. Zafranovic hat recht, Bilder erzwingen leicht Aufmerksamkeit, aber er mißbraucht manchmal absichtlich Material, um seine potentielle Verlogenheit zu demonstrieren, und das schwächt seinen Film. Ein Publikum braucht nicht zu erkennen, daß Bilder falsch werden, wenn man sie falsch machen will. Zuschauer müssen sich mit der Ambivalenz von Bildern auseinandersetzen, die der Filmemacher als wahr hinstellen will. Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning
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