: Wir können nicht anders
■ „Leningrad Cowboys meet Moses“ (Forum): Wie Aki Kaurismäki einmal vorsätzlich einen Kultfilm drehen wollte
Daß auch im wilden Osten schwer gerockt wird, ist Jahr für Jahr Anlaß zu allerhand Import/ Export-Planspielen auf bundesdeutschen Musikmessen. Weil aber Rock immer zugleich Pop ist und ohne einleuchtende Bilder nicht existieren kann, mußte erst Aki Kaurismäki kommen und den passenden Trivialmythos dazuerfinden: Die Leningrad Cowboys, eine Bande unerschrockener Fake-Russen, die ein dunkel obwaltendes Rock'n'Roll-Schicksal in die westliche Welt hinaus verschlagen hat. Und weil diese vermutlich aus dem Schnaps geborene Idee in der Wunderwelt der populären Rezeption so überaus gut funktionierte (300.000 Besucher in Deutschland, mehr als bei jedem anderen Kaurismäki-Film), mußte nun wohl ein Sequel her.
„Flogging a dead horse“ hieß so was bei den Sex Pistols. Deshalb ist es auch gleich mal nicht so lustig, wenn einem dieser „schrägen Helden“ (Film-Echo) zu Beginn die überdimensionale Haartolle aus dem Cowboyhut vorne rausschaut. Aber immerhin übersichtlich: Hut, Tequila, Kaktus – das muß Mexiko sein.
Die Leningrad Cowboys sind irgendwie am Ende, liegen verschmutzt in der Landschaft rum, bis ein Telegramm sie wachrüttelt. Ihr alter Manager ruft sie, der sich jetzt wundersamerweise Moses nennt, einen Prophetenbart angeklebt hat und die Männerhorde mit einer kruden Heimführungs-Story konfrontiert. Erst muß der Freiheitsstatue in New York die Nase abgesägt werden, dann geht der Ruf zurück gen Osten. Über Frankreich. Es hat was mit parthenogenetischen Strahlen zu tun...
Der Weg, den die Cowboys auf ihrer Fahrt zurück ins gelobte Sibirien nehmen, ähnelt nicht nur auffällig dem der tumben Helden in Detlev Bucks letztem Film, er wird auch genauso erzählt: die Moderne als Westernlandschaft, an deren wüstenartigen Rändern die Bewegung entlangfährt. Road Movie. Brest ist ein Holiday Inn mit Parkplatz, Leipzig ein Stück Straße, Dresden ein club-rotes Etablissement, in dem eine ältere Blondine „By the Rivers of Babylon“ singt. In Warschau verliert die Band fast einen Kameraden, läßt sich aber nicht stoppen auf ihrem Weg durch die Provinzen. Man sieht den Bildern an, wie sehr Kaurismäki diesen Reiz des Strukturschwachen braucht: den alten Opel-Bus, der morgengraue Landschaften entlangtuckert, die abblätternden Farben des Ostens. Und immer wohnt darin so eine Wenders-hafte Kunstfertigkeit, die Kolorit saugt aus dem Rohstoff der Straße.
Selbst die barocke Altbundesrepublik ist bei Kaurismäki bloß eine Nato-Basis, eine Tankstelle und ein Fahndungsplakat, das graugrünen Ordnungshütern Anlaß zu einer Bad-Kleinen-mäßigen Verhaftungsaktion gibt. Lustig ist das nicht: Willenlos lassen die Cowboys sich in eine Wanne verfrachten. Denn anders als die Buckschen Helden können sie nicht anders. Trotz dieser überdimensionalen Insignien des Naturwüchsigen an Kopf und Füßen sind sie Rock'n'Roller without a cause, keine gehemmten Pistoleros – und ohne ihren bärtigen Propheten gründlich aufgeschmissen. Je weiter die versprengte Bande gen Osten vordringt, desto tiefer gerät sie unter den Einfluß heftig widerstreitender Ideologien. Ein Subprophet namens Lenin rezitiert Klassenkämpferisches, während Manager Moses sich mehr und mehr als falscher Heiliger entpuppt. Die Nase der Freiheitsstatue im Band-Bus ist derweil zum Diebstahl freigegeben...
Eine hübsche Allegorie – „der Osten“ zwischen Autoritarismus, Desorganisation und Metaphysik –, hieße das nicht, dem Film zuviel Sinn anzutun. Kaurismäki müht sich sichtlich, die Spuren von Bedeutung, die er legt, durch allerhand Anspielungen, Zitate („Die Bibel“) und Trash-Elemente zu verwischen. Wie immer sprechen die Akteure Brechtisch-distanziert ins Leere hinaus, wie meistens ist ihr trauriger Trinker-Existentialismus nicht wirklich tragikfähig. Der pseudo-biblische Moses (wieder gespielt von Old Matti Pellonpää) ist ein finnlando-russischer Trash- Bhagwan Dostojewskischen Schlags, die Leningrad Cowboys singen wie gehabt ihre Lieder der Liebe, und die Story endet (glücklich) in einem sibirischen Asterix- Dorf: Keep on rockin' in the not so free world.
So weit, so billig. Doch Trash ist nun mal ein Genre, das eher aus Produktionsanarchie entsteht als aus auktorialem Willen. „Leningrad Cowboys meet Moses“ kommt an die besoffene Trivialität seines Vorgängers nicht heran. Viel schlimmer aber, daß Kaurismäki es sich nicht verkneifen konnte, von vornherein einen „Kultfilm“ drehen zu wollen. „Die kuriosen Leningrad Cowboys stürmen die Berlinale“, titelte die Berliner Morgenpost schon im Vorfeld und lieferte damit die echte Trash- Interpretation zum falschen Kult. „Zufällig“ sind die Cowboys nämlich auch noch zu Konzerten in der Stadt. Ich möchte Moses heißen, wenn es nicht zu allerhand Kult in „Huxley's Neuer Welt“ kommt.
Leningrad Cowboys, das Sequel, Leningrad Cowboys, der Konzertfilm (der auch noch auf der Berlinale läuft), Leningrad Cowboys, das Lebensgefühl – abzüglich der Ironie hat der Regisseur recht, wenn er seinen Film als „Mainstream-Komödie“ bezeichnet. Da ist was angekommen. Thomas Groß
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