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„Bitte bitte: Darf ich wieder ausreisen?“

■ Paris macht „Ausreisevisum“ für Angehörige von 13 Nationalitäten zur Pflicht

Paris (taz) – Als ob es nicht schon schwierig genug wäre, nach Westeuropa hineinzukommen – nein, auch heraus soll es nicht ohne Hindernisse gehen. Am Wochenende führte die französische Regierung ein „Ausreisevisum“ ein. Vom 1. April an müssen Angehörige von 13 Nationalitäten das Innenministerium informieren, bevor sie Frankreich verlassen dürfen.

Mitarbeiter von Innenminister Charles Pasqua, aus dessen Haus der Erlaß stammt, begründen die Maßnahme mit dem „Kampf gegen Terrorismus und Integrismus“. Die Herkunftsländer der Betroffenen seien „sensibel“ für die nationale Sicherheit Frankreichs.

Die Liste der „sensiblen Länder“ reicht vom Kaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) über beinahe den gesamten Nahen Osten (Irak, Iran, Jordanien, Libanon, Libyen, Syrien, Sudan, Jemen) bis nach Fernost (Afghanistan, Nordkorea). Auch PalästinenserInnen müssen künftig bei der Behörde anfragen: „Darf ich bitte ausreisen?“

Der Erlaß basiert auf dem im vergangenen August verabschiedeten „Pasqua-Gesetz“, das die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für AusländerInnen in Frankreich erheblich verschärft. Bereits im vergangenen Monat schuf Paris eine spezielle Ausländerpolizei. Die „Dicilec“ (Direktion für die Immigrationskontrolle und den Kampf gegen die Schwarzarbeit) sorgt an Grenzübergängen, Flughäfen und Häfen, aber auch im gesamten Land dafür, die illegale Einwanderung kleinzuhalten. Künftig soll die Dicilec sich auch darum kümmern, daß die Angehörigen der 13 „sensiblen Nationalitäten“ nicht ohne Erlaubnis ausreisen. Das „Pasqua-Gesetz“ gestattet der Ausländerpolizei „Grenzkontrollen“ bis zu 15 Kilometern hinter den eigentlichen Stationen.

Nach Informationen aus dem Pariser Innenministerium ist das „Ausreisevisum“ eine rein französische Initiative. Angesichts der seit Jahren laufenden regelmäßigen Verhandlungen hoher Beamter über eine Abschaffung sämtlicher Binnengrenzen zwischen den Schengen-Staaten, zu denen Frankreich von Anfang an gehörte, ist ein derartiger „Alleingang“ allerdings schwer nachvollziehbar.

Charles Pasqua hat das Projekt „Ausreisevisum“ bereits seit Mitte der 80er Jahre im Auge, als er schon einmal Innenminister einer konservativen Regierung war. Der 1986 verabschiedete Ministerrundbrief über Ausreiseanträge für bestimmte AusländerInnen in Frankreich scheiterte jedoch sechs Jahre später am Staatsrat. Der stellte eine „Einschränkung des Grundrechtes auf Bewegungsfreiheit“ fest und annullierte den Ministerrundbrief. Vorausgegangen war eine Beschwerde der ImmigrantInnenorganisation „Gisti“.

In der Zwischenzeit hat sich die politische Landschaft Frankreichs entscheidend verändert. Das „Pasqua-Gesetz“ aus dem vergangenen Jahr schafft jetzt nach Ansicht des Staatsrates die nötige Grundlage für den Erlaß. Ein Widerspruch hätte heute keine Aussicht auf Erfolg, teilte der Staatsrat den Anwälten von Gisti mit. ImmigrantInnen- und Menschenrechtsgruppen bezeichnen das „Ausreisevisum“ weiterhin als schweren Eingriff in die Bewegungsfreiheit. Auch wenn in dem Erlaß nicht vorgesehen sei, daß das Innenministerium eine Ausreisegenehmigung verweigern könne, nehme die Kontrolle von Ausländern unzumutbar zu, befürchtet Gisti-Sprecher Patrick Mony. Das Innenministerium bekomme eine „exorbitante Machtbefugnis“. So muß ein in Frankreich lebender Ausländer künftig erst das Innenministerium informieren, bevor er zu seinem im Sterben liegenden Vater ausreisen darf. „Wenn er das Papier drei Wochen später hat, kommt er nicht einmal mehr rechtzeitig zur Beerdigung“, kommentiert ein anderer Immigrantensprecher.

Über 3,6 Millionen AusländerInnen leben in Frankreich. Die französische Öffentlichkeit weiß jetzt aus Regierungsquellen, daß 13 Nationalitäten unter ihnen „sensibel“ sind. Dorothea Hahn

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