: Fußnoten der Geschichte
■ Straßenschilder mit Kolonialisatorennamen in Walle werden ab jetzt kommentiert
Schildbürger wollen sie nicht sein, und Bilderstürmer schon gar nicht: Die Waller Mitglieder der Arbeitsgruppe „Erbe des Columbus“ feierten gestern einen kleinen Erfolg. Denn nach fast zwei Jahren Recherche und Behördenpapierkrieg durften sie drei Straßen in Walle – nein, nicht umbenennen, sondern nur den Straßennamern durch ein kleines Schild ergänzen.
Die Straßen tragen die Namen von „großen Männern“, die einmal als Helden verehrt wurden. Aus der heutigen Sicht waren die Männer allerdings Kolonisatoren, die mit einer Mischung aus Abenteuerlust, Geschäftemacherei und Hurra-Patriotismus das Weite suchten, um es dem eigenen Herrscher zu Füßen zu legen. Den Menschen in den fernen Ländern brachten sie damit – bewußt oder unbewußt – die „Segnungen der Zivilisation“: Unterdrückung, Ausbeutung und eine bis heute andauernde Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.
Der bekannteste Name unter den jetzt kommentierten Straßen ist Christoph Columbus. (Kommentar: „Seefahrer, Beginn der Eroberung Amerikas“) 500 Jahre nach seiner „Entdeckung“ Amerikas regte sich 1992 in der evangelischen Kirchengemeinde Immanuel in Walle der Gedanke, ob man weiterhin unkommentiert einen Mann ehren wolle, der für die Völker Amerikas am Anfang einer millionenfachen Leidensgeschichte stand. Gleich nebenan sind die Parallelstraßen nach deutschen Kolonisatoren benannt, die vor 100 Jahren die Träume von einem Kolonialreich in Afrika geträumt und mit teilweise brutalen Mitteln durchgesetzt haben: Karl Peters und Gustav Nachtigal.
Nachtigal war Kolonialbeamter in der deutschen Provinz Togo, der den „Schutz“ des Deutschen Reiches auch auf Kamerun ausdehnte. Karl Peters verwaltete die kaiserlichen Interessen in Ostafrika: Als Gründer der „Deutschen Gesellschaft für Kolonisation“ handelte er den Eingeborenen „Schutzverträge“ ab und herrschte rücksichtlos über die Bevölkerung. Aus nichtigem Anlaß ließ er zwei Eingeborene hinrichten, was ihm von SPD-Abgeordneten August Bebel im Reichtstag den Namen „Schlächter von Afrika“ eintrug.
In solcher Nachbarschaft wollten die WallerInnen nicht weiter unkommentiert wohnen. „Hier ist ja gleich der Hafen, wo Produkte aus diesen Ländern landeten“, sagt Friedrich Scherrer, Pastor der Immanuel-Gemeinde und Mit-Initiator der Schilder-Aktion. Auch für Hans-Jürgen Vogel aus der Initiative ist klar, daß die Zeiten des Kolonialismus noch längst nicht vorbei sind. „Man muß die Männer aus der damaligen Sicht beurteilen, und da waren es für die Bevölkerung ja Helden“, meint er. Heute sei aber klar, daß sie mit der Kolonisierung der Länder viel Unheil angerichtet hätten, das auch noch bis in die Gegenwart wirke, zum Beispiel bei der Schuldenkrise der sogenannten Dritten Welt. „Es geht nicht so sehr darum, den armen Ländern mehr an humanitärer Hilfe zu geben, sondern darum, ihnen weniger wegzunehmen“, meint auch Pastor Scherrer.
Ein Vorschlag an den Beirat, den Namen eine Erklärung hinzuzufügen, wurde erstmal ein Jahr lang nicht bearbeitet und dann ohne Begründung abgelehnt. Die Beiratsmitglieder sahen nicht, was eine extra Erklärung für die Namen bedeuten sollte, heißt es vom Ortsamt. Und außerdem koste das ja auch noch Geld: etwa 150 pro Zusatzschild sind aufzubringen. Nach Protesten der Initative kam dann vom Beirat aber doch noch grünes Licht – wenn es nur nichts kosten würde. So haben SPD, Grüne und die Immanuel-Gemeinde jeweils ein kleines Erklärungsschild finanziert. Damit die WallerInnen eine Ahnung bekommen, wo sie wohnen. Bernhard Pötter
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