: Glaube und Klassenkampf
Der überraschend lustige kolumbianische Film „La Estrategia Del Caracol“ von Sergio Cabrera spielt mit dem Rücken zur Wand (Forum) ■ Von Manfred Riepe
In „Fitzcarraldo“ läßt Werner Herzog für viel Geld ein Schiff über einen Berg schleppen. Das ist dekadent-monumentalistischer Bombast, ohne Seele. In seinem beherzten Film „La Estrategia Del Caracol“ (deutsch: Die Strategie der Schnecke) läßt der kolumbianische Regisseur Sergio Cabrera die Bewohner eines von einer Räumungsklage bedrohten Mietshauses selbiges Stein für Stein unbemerkt mit einem Flaschenzug abtragen — damit nur ja dem dem raffgierigen Yuppie-Spekulanten nichts mehr übrigbleibt. Den freiwillig ins Ghetto am Stadtrand abgewanderten Hausbewohnern bleibt, wie sie sagen, wenigstens die Würde.
So witzig und voll sprühender Komik die Pointe in Cabreras Film ist, so bitter ist sie zugleich. Das Happy-End dieser sozial-realistischen Komödie ist gar nicht lustig.
Das Ganze beginnt als Fernsehreportage. Ein distanziert-sensationslüsterner Reporter interviewt einen Bewohner eines Hauses, das aufgrund polizeilicher Anordnung gerade geräumt wird. Eine alltägliche Angelegenheit. Doch statt herzergreifenden Gejammers über raffgierige Reaktionäre setzt der Mann zu einer Geschichte an: über die Strategie der Schnecke.
Die besteht darin, daß die Bewohner des Mietshauses Uribe mit Hilfe ihres findigen Rechtsanwalts zunächst alle erdenklichen Schlichen und Tricks in Szene setzen, um die drohende Räumungsfrist aufzuschieben. Juristic Parc. Aber das Ende, die Räumung, ist unabwendbar.
Die Strategie der Schnecke besteht also darin, daß die Bewohner ihr Haus – stellvertretend für ihre Menschenwürde – nicht preisgeben: Sie nehmen es mit. Doch bis die kunstvolle Demontage des Gemäuers bis auf die Grundmauern vollbracht ist, müssen sprichwörtlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt werden.
Die Allianz der Besitzlosen reicht von einem konspirativen Geistlichen und einer Transvestiten-Prostituierten über eine Euthanasistin bis hin zu einem findigen, anarchistischen Sprengstoffspezialisten.
Die furiose Handlung des Films verspinnt Milieustudien im Stil des italienischen Neorealismus kurzweilig mit Screwball-Elementen. Running Gags und phantasievolle szenische Erfindungen verdichtet der Regisseur zu einer eigenständigen Mixtur. Seine Adaption arrivierter Kino-Formen steht ganz im Dienst der kulturellen Identität Latainamerikas: Da darf natürlich auch das typisch katholische Wunder nicht fehlen.
Man spürt, daß dieser Film mit dem Rücken zur Wand gedreht wurde. Das ist keine belanglos designte Unterhaltung, sondern etwas Essentielles. Die Fülle seiner internationalen Auszeichnungen belegt, daß mit „Die Strategie der Schnecke“ dem bis dahin nicht eben ruhmreichen kolumbianischen Kino etwas Großes gelungen ist.
Im eigenen Land wird der Film als Meilenstein eigener Ausdrucksform gefeiert. Nicht umsonst verglich der Kritiker Luis Alvarez „Die Strategie der Schnecke“ in El Colombiano mit dem 5 : 0-Sieg der kolumbianischen Nationalelf über die elitären Argentinier. Das wäre, um im Bild zu bleiben, so ähnlich, wie wenn hierzulande Eintracht Frankfurt endlich den Bayern die Lederhose ausziehen würde. [Niemals. d.S.] Genau so.
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