■ Vom Mythos eines vereinten Fundamentalismus: „Islamistische Internationale?“
Im Iran ruft Ajatollah Chomeini, Religionsführer und Regent des ersten Gottesstaates der Neuzeit, im Namen Allahs zum Mord an einem Schriftsteller und zum Heiligen Krieg gegen den gottlosen Westen auf. In Ägypten brennen islamische Fanatiker Kirchen nieder, ermorden koptische Mitbürger, attackieren Touristen. In Algerien exekutieren religiöse Terroristen Intellektuelle und Ausländer per Kopfschuß. Im Sudan drängen Hunderttausende von Gläubigen auf die Straße und skandieren: „Die Scharia oder das Martyrium!“ Und im türkischen Sivas belagern Tausende von Islamisten das Hotel „Madimak“, wo „ketzerische“ Künstler, darunter der türkische Rushdie-Übersetzer Aziz Nesin, ein Fest feiern. Dann zünden die Frommen das Hotel an: 36 Menschen verbrennen, Dutzende werden schwer verletzt.
Die Bilder der Bedrohung gleichen sich, ihr Kürzel: Islamismus. Und als dessen bedeutendster Ahnherr gilt Chomeini. „Ihr Muslime der Welt, ihr Entrechteten der Erde“, fordert der iranische Schiitenführer in seinem Testament. „Erhebt Euch: Erkämpft mit Zähnen und Klauen Euer Recht! Jagt Eure tyrannischen Herrscher davon! Einigt Euch unter dem stolzen Banner des Islam und errichtet seine Herrschaft! Damit werdet Ihr alle Mächtigen der Erde bezwingen, und die Barfüßigen werden Herren und Erbe der Welt sein!“
Eine wachsende Adeptenschar Chomeinis zwischen Atlantik und Arabischem Golf scheint entschlossen, die islamischen Gesellschaften davor zu bewahren, so säkular und gottlos zu werden wie der Westen. Und nicht nur Bedrohungsapologeten wie Gerhard Konzelmann oder Peter Scholl- Latour sehen eine zentral gesteuerte „Islamistische Internationale“ am fatalen Werk. Selbst viele arabische Intellektuelle glauben an ein Fanatiker-Kartell: international, konspirativ, perfekt. Schuld an dieser Entwicklung seien die arabischen Regierungen: Sie hätten Reformen verzögert, demokratische Freiheiten verhindert, die Trennung von Staat und Religion hintertrieben. Der Islamismus sei nun die Quittung für fehlende Aufklärung, mangelnde Säkularisation, scharfe soziale Mißstände. Er sei die Rache der Ausgegrenzten.
Algerische Exilanten haben jüngst sogar eine Farbkarte zur internationalen islamischen Bedrohung herausgegeben: Die gemäßigt islamischen Staaten wie Ägypten, Jordanien, Syrien oder Tunesien sind in sanftem Lindgrün eingefärbt, die gestrengeren Länder erscheinen dunkelgrün, die westlichen blau. Und dann sind da noch einige dunkelgrüne Staaten mit signalroten Schraffuren: islamistische Staaten oder solche, die es bald werden könnten: Algerien, Sudan, Iran, Saudi-Arabien. Diese Länder seien logistische Zentralen und strategisches Aufmarschfeld des Islamismus. Von hier breite er sich aus wie eine biblische Plage. Und am Ende werde er in Form eines arabisch-islamistischen Großstaats die Welt bedrohen.
Spiegelt das nur den krankhaften Verfolgungswahn von Exilanten? Oder gibt es tatsächlich einen internationalen Islamismus, der Schiiten und Sunniten eint, der Monarchien und Republiken gleichermaßen hinwegfegen könnte?
Tatsache ist: Kein einziger arabischer Staat wird demokratisch regiert, und in beinahe allen ist der Islam Staatsreligion, beziehen sich Gesetzgebung und Rechtsprechung auf Koran und islamisches Recht. Und überall sind die Staatsoberhäupter mehr denn je bemüht, die eigenen politischen Entscheidungen mit dem Willen Gottes – oder was sie dafür halten – in Einklang zu bringen. Tatsache ist auch, daß die arabische Welt seit Mitte der siebziger Jahre dramatischen Veränderungen unterworfen ist: demographisch, politisch, sozial. Und nach dem gründlichen Scheitern der alten Ideologien – Panarabismus, Nationalismus, Sozialismus – fand der Ruf nach einer wirklich islamischen Gesellschaft, nach einer islamischen Selbstfindung vielfach Gehör. Neben den schon 1928 gegründeten ägyptischen „Moslembrüdern“ mit vielen Filialen in den arabischen Ländern entstanden zahlreiche neue islamistische Gruppierungen, sunnitische und schiitische, gemäßigte und radikale: die „Erneuerungsbewegung“ in Tunesien, die „Islamische Heilsfront“ in Algerien, „Hamas“ in den besetzten Gebieten Israels oder der „Islamische Heilige Krieg“ in Ägypten.
Gemeinsam ist all diesen Gruppen ein politisch verstandener Islam. Dieser kaum näher bestimmte Polit-Islam gilt als Idealtypus menschlicher Ordnung. Er gründet sich auf Koran und Sunna, soll zu jeder Zeit und an jedem Ort anwendbar sein und die Gesellschaft durch seine sozialen Werte refomieren. Auch eine ausgeprägte Militanz und Intoleranz gegen Andersgläubige, die Ablehnung des Westens im allgemeinen und der Haß auf die USA und Vernichtungsphantasien in bezug auf Israel im besonderen verbinden die Islamisten. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: All diese Gruppierungen haben bis zum jüngsten Golfkrieg keineswegs von Gottes Lohn gelebt, sondern mutmaßlich – zumindest solange sie den Herrschaftsanspruch der Erbprinzen in Riad nicht antasteten – von saudischem Geld. Als treue Verbündete und solvente Großkunden sind die Saudis freilich nie ins Schußfeld des Westens geraten.
Damit enden aber die Gemeinsamkeiten der „Islamistischen Internationale“, und sie zerfällt in zahllose Islamismen: heterodox, widersprüchlich, unvereinbar. Die iranische Revolution fand zwar Bewunderung in vielen islamischen Staaten. Aber für die arabisch-sunnitischen Islamisten, deren Polit-Islam immer auch nationalistisch, ethnisch und sektenbezogen ist, sind die schiitischen Iraner kein Vorbild. Die Lehrmeister der arabischen Islamisten sitzen denn auch nicht in Teheran, sondern in Khartum, Kairo oder Algier. Als Chefideologe des sunnitischen Extremismus gilt Hassan Turabi. Der Absolvent der Pariser Sorbonne und Ex-Justizminister des Sudan ist ein begnadeter Demagoge. Doch sein Wirkungsfeld ist weitgehend auf die Grenzen des Sudan beschränkt. Denn solange sich noch nicht einmal in Ägypten die islamistischen Gruppierungen auf eine gemeinsame Führung, eine einheitliche Doktrin und ein verbindliches Ziel einigen können, haben auch die Lehren Turabis kaum eine Chance, zum sudanesischen Exportschlager zu werden.
Zwar denken die Mehrheiten in einigen arabischen Ländern – wie Ägypten oder Algerien – heute islamistisch. Vor allem aber denken sie ägyptisch oder algerisch. Das mußte schon der gescheiterte Panarabist Nasser erfahren. Die Gefahr des Islamismus liegt daher auch weniger in einer panislamistischen Bedrohung oder einem arabisch-islamistischen Großstaat mit hegemonialen Interessen. Sie liegt in der Destabilisierung einzelner Länder, wo die unterschiedlichsten Islamismen an Einfluß gewinnen.
Die politische Ideologie Islamismus hat außer Belehrungen, Prophezeiungen, Drohungen nichts zu bieten – weder Alternativen noch Perspektiven. Doch wie lange wird es dauern, welche Folgen nach sich ziehen, ehe sie als gesellschaftliche Utopie entzaubert sein wird? Walter Saller
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