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Im Westen überhaupt nichts Neues

■ In Ostberlin wurden sechzig Straßen umbenannt, doch im Westteil, wo es von Kriegstreibern und Imperialisten wimmelt, heißt es weiterhin: Sackgasse - keine Wendemöglichkeit

Von Jürgen Karwelat

Seit 1990 sind in Ostberlin über sechzig Straßenumbenennungen vollzogen worden. Jetzt will Senator Haase sogar Hand an die Straßenschilder mit Namen wie Karl Marx oder Rosa Luxemburg legen. Angesichts dessen macht es durchaus Sinn, den Blick auch einmal gen Westen zu richten.

In den westlichen Stadtteilen tragen, das brachte 1985 eine kleine Anfrage der AL-Abgeordneten Christiane Zieseke an den Tag, über hundert Straßen weiterhin die Namen, die ihnen die Nazis zwischen 1933 und 1945 gegeben haben. Die meisten sind politisch unverfänglich. Andererseits sind Restbestände der rassistischen und expansionistischen Nazi-Ideologie unverkennbar.

Da ist zum Beispiel das sogenannte Fliegerviertel in Neu-Tempelhof, in unmittelbarer Nähe des Flughafens. Hier hatten die Nazis am 21. April 1936 mit einem großen Spektakel sechzehn Straßen nach „Fliegerhelden“ des Ersten Weltkriegs benannt. Der Tag war gut gewählt worden, denn der 21. April 1918 war der Todestag Manfred von Richthofens, der mit 81 Abschüssen „erfolgreichster deutscher Kampfflieger“ war, wie 1936 stolz der Völkische Beobachter vermerkte. So ist es nicht verwunderlich, daß die Hauptstraße von Neu- Tempelhof, der ehemalige Hohenzollernkorso, in Manfred-von- Richthofen-Straße umbenannt wurde. Die toten „Fliegerhelden“ Boelcke (38 Abschüsse), Lowenhardt (54 Abschüsse), Wolff (38 Abschüsse) und zwölf weitere Luftwaffenoffiziere kamen zu Ehren. Besonders stolz waren die Nazis auf Leutnant d.R. Werner Voß (48 Abschüsse), abgestürzt am 23. September 1917, denn sein Flugzeug war mit einem Hakenkreuz „verziert“.

Nach 1945 bestanden Pläne, dem gesamten Viertel neue Namen von pazifistischen SchriftstellerInnen zu geben. So zum Beispiel Ernst Toller, Berta von Suttner und Franz Werfel sollten die Kriegs-„Helden“ ersetzen. Die Manfred-von-Richthofen-Straße sollte in Zukunft Mühsam-Straße heißen, nach dem von den Nazis 1934 im KZ Oranienburg ermordeten Schriftsteller und Anarchisten Erich Mühsam. Die Pläne gerieten in die Kalte-Kriegs-Zeit und wurden nicht umgesetzt. Mit ihrer CDU-Mehrheit lehnte die BVV Tempelhof 1988 bei einer erneuten Debatte Umbenennungen kategorisch ab. Die Begründung ist mehr als bemerkenswert: Da die Fliegeroffiziere so jung gestorben seien, seien die Straßennamen eine Mahnung gegen den Krieg.

Straßenname bleibt, Erklärung wechselt

Auch der Bezirk Wilmersdorf hat sich bei seiner Vergangenheitsbewältigung nicht mit Ruhm bekleckert. Zwischen 1933 und 1945 hatten die Nationalsozialisten neunzehn Straßen neue Namen gegeben. Im Grunewald „arisierten“ sie neun Straßen, indem sie nach Juden benannte Straßen umbenannten. Erst 1985 nahmen KommunalpolitikerInnen einen Anlauf, das Berliner jüdische Erbe im Stadtbild wiederaufleben zu lassen. Heraus kam eine Mißgeburt. 1938 war die an den Schriftsteller Bertold Auerbach erinnernde Straße nahe dem S-Bahnhof in Auerbacher Straße umbenannt worden. Der schlitzohrige Kompromiß des damaligen Wilmersdorfer Kommunalparlaments: Es wurden nur die Erklärungsschilder ausgetauscht. Die Straße behielt weiter den Namen Auerbacher mit der wenig tragfähigen Erklärung, Herr Auerbach hätte sich auch Auerbacher genannt.

Der zweite Versuch der Vergangenheitsbewältigung war etwas erfolgreicher. 1991 beschloß eine rot-grüne Mehrheit die Umbenennung des Seebergsteigs in „Walter-Benjamin-Straße“. Der evangelische Theologe Reinhold Seeberg war ein Propagandist des Ersten Weltkrieges, den er für einen ethisch notwendigen Feldzug hielt. Mit seinen judenfeindlichen Stellungnahmen tat er sich als Wegbereiter der Nationalsozialisten hervor. Die Umbenennung ist bis heute nicht vollzogen, da Anwohner gegen den neuen Namen geklagt haben. Der 1991er- Beschluß der rot-grünen Mehrheit in der Wilmersdorfer BVV, auch der Schellendorffstraße und dem Dünkelbergsteig die alten Namen aus der Zeit vor 1933 wiederzugeben, hat 1992 die neue CDU/FDP/ REP-Mehrheit rückgängig gemacht. Die späte Wiedergutmachung für den jüdischen liberalen Politiker Karl Rudolf Friedenthal und den jüdischen Arzt Julius Morgenroth harrt noch auf ihre Umsetzung.

Generäle, mehr als einem lieb sind

Mehr als 200 Straßen tragen Namen, die militärischen Ursprungs sind. Schlachten, Generäle, Mordwerkzeuge. Alles ist vertreten. Der Bezirk Tiergarten hat in den vergangenen Jahren zwei Straßen, die 1933 oder 1936 nach den preußischen Generälen Maximilian Graf von Spee und Alfred Graf von Schlieffen benannt worden waren, neue Namen gegeben. Das frühere Schlieffenufer heißt nun Bettine- von-Armin-Ufer. Die alte Graf- Spee-Straße am südlichen Rand des Tiergartens trägt jetzt ebenso wie die dazugehörige Fußgängerbrücke über den Landwehrkanal den Namen der japanischen Stadt Hiroshima. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt aber, daß die BVV Tiergarten noch ein reiches Betätigungsfeld haben könnte. Generäle gibt es auf den Straßenschildern noch reichlich. Da sind zum Beispiel die Einem-, die Kluckstraße, die Bissingzeile, alles Namen von Generälen des Ersten Weltkriegs, die die Nazis ins Stadtbild gebracht haben. Bissing war Generalgouverneur in Belgien. Er setzte sich für die Angliederung Flanderns an ein großdeutsches Reich ein.

Imperialismus und Völkerkunde

Neben Schöneberg ist besonders Steglitz militarisiert. Die Namen der Generäle aus dem Ersten Weltkrieg reichen für ganze Armeen – viele heute weitgehend unbekannt wie beispielsweise Mudra, Beseler, Gallwitz, Scheffer oder Weddinger. Erinnerungen an die imperialistische Vergangenheit des bei der Eroberung der Welt zu kurz gekommenen deutschen Kaiserreichs werden in Dahlem, in unmittelbarer Nähe des Völkerkundemuseums, wach. Das Museum liegt in der Lansstraße, diese wird von der Takustraße gekreuzt. Ganz in der Nähe gibt es die Iltisstraße.

Eine Völkerverständigung besonderer Art hat Vizeadmiral Wilhelm Lans, nach dem die Straße benannt ist, am 17.6. 1900 praktiziert. Während des „Boxeraufstands“ in China war Lans Befehlshaber des Kanonenboots „Iltis“, das an der Beschießung des chinesischen Takuforts beteiligt war. Eigentlich kein guter Straßenname für Museen, die Verständnis für das Leben anderer Völker vermitteln wollen.

Niederlagen der Demokratie gefeiert

Wären diese Namen nicht genauso überdenkenswert wie zum Beispiel auch die unscheinbare Waghäuseler Straße in Wilmersdorf, benannt nach der kleinen badischen Stadt Waghäusel. Sollte eine demokratische Gesellschaft ihre eigene Niederlage feiern, indem sie den Ort der Niederlage auf Straßenschilder bringt? Waghäusel war die Stadt, wo am 20. Juni 1849 die preußische Armee das Heer des demokratischen republikanischen Baden vernichtend geschlagen hat. Ein Antidemokrat und preußischer Kronprinz Wilhelm, der spätere erste deutsche Kaiser, führte die Truppen gegen die revolutionären Demokraten.

Schließlich ist es durchaus fraglich, ob in Berlin eine Straße nach einem Gegenstand benannt werden darf, der zum Umbringen von Menschen – vorwiegend im Krieg – benutzt wird. Die Rede ist von der Granatenstraße in Reinickendorf. Für sie wurde 1983 der Umbenennungsvorschlag „Jean-Jaurès- Straße“ gemacht, nach dem französischen Sozialisten und Pazifisten, der noch unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch in Berlin auftrat. Der Vorstoß des Einzelkämpfers und SPD-Mitglieds Siegfried Rumbaum stieß nicht einmal bei seiner eigenen Partei auf Gegenliebe. Und so bewegt man sich in Reinickendorf, Wedding oder Spandau weiter auf militärischem Terrain: Exerzier-, Flotten-, Pionier- und auch Granatenstraße.

Steigbügelhalter von Adolf Hitler

Eine der großen Hauptstraßen in Steglitz trägt den Namen von Paul von Hindenburg. Mit Unterstützung der Sozialdemokraten 1925 zum Reichskanzler gewählt, hat der Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs und „Held von Tannenberg“ in den letzten Jahren der Weimarer Republik geduldet, daß seine Regierungen mit halbdiktatorischen Notverordnungen regiert haben. Schließlich hat er 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht.

Dabei bestand für diese Ernennung, die das Ende der ersten deutschen Republik bedeutete, überhaupt keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Der große Hindenburg war zum Steigbügelhalter der Nationalsozialisten geworden. Dafür hat er sicherlich keinen Berliner Straßennamen verdient, auch nicht für die diktatorische Regierungspraxis und seine Taten im kaiserlichen Heer des Ersten Weltkriegs.

Bisher ist nichts bekannt über Aktivitäten von KommunalpolitikerInnen oder von Kommissionen, die die Umbenennung des Hindenburgdamms vorgeschlagen haben.

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