piwik no script img

„Langlauf ist Knochenarbeit“

Beim Jagdrennen wird die Synthese zwischen Tradition und Revolution probiert / Den besten Klassikern sitzen die Skater im Nacken  ■ Aus Lillehammer Cornelia Heim

Gestern begaben sich die Skilangläufer auf die Jagd. Gejagt wurde der Zeiger auf der Uhr. Zehn Kilometer lang. Und ganz so, wie man sich seit 150 Jahren, als Skilangläufer unter die Wettkämpfer gingen, auf der Loipe bewegte: einen Fuß vor den anderen, klassisch eben, fast wie beim Joggen. Aber das war nur das Halali. Teil eins im Verfolgungsrennen, das vor zwei Jahren in Albertville olympisch wurde. Morgen wird die Hatz erst richtig eröffnet. Gejagt wird dann der Vordermann. Im „Gundersen-Start“, benannt nach seinem Erfinder, startet der Vortagesschnellste, die Nächstplazierten nehmen ihren Rückstand vom ersten Lauf mit ins zweite Rennen.

Langlauf ist etwas für Naturliebhaber, gemeinhin für Individualisten. So mühte sich auch Ben Husaby, als er den Journalisten aus seiner Heimat USA die Einsamkeit des Langstreckenläufers nahebringen wollte. Nach einer Weile probierte er es mit außersportlichen Qualitäten: „Langläufer sind besonders intelligente Sportler“, sagte er und lächelte. Die Medienvertreter lächelten vorsichtig zurück. Langläufer scheuen das grelle Scheinwerferlicht, ziehen in der Regel den Sonnenaufgang im Schnee der Glitterwelt von Las Vegas vor. Jochen Behle, den bei seinen ersten Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid eine ganze Nation am Bildschirm suchte, weiß nach 14 Jahren in der Loipe und fünf Olympischen Spielen: „Langlauf ist Knochenarbeit, längst kein Hobby mehr.“ Wer 10.000 Kilometer im Jahr in den Füßen stecken hat – auf dem Rad, per pedes, auf Rollerski und Langlaufski –, ist nicht nur hart im nehmen, sondern auch ein Einzelgänger.

Und eignet sich doch wunderbar zur Pärchenbildung. Das wohl bekannteste Duo – Vegard Ulvang und Björn Daehlie. Aber auch das Doppel Jochen Behle und Johann Mühlegg, eine Seele, wenn es um die Promotion für ihren geliebten Sport geht. Die einen norwegischer Herkunft, die anderen deutscher. Die ersten sehr erfolgreich – gemeinsam grasten sie in Albertville alles Gold, was auf den fünf Langlaufstrecken lag, ab. Die letzteren bescheiden sich mit dem, was man im Sport gerne mit spitzem Munde „Achtungserfolg“ nennt.

Was beiden ungleichen Pärchen eigen ist – in der Öffentlichkeit werden sie gerne in einem Atemzug genannt. Vielleicht weil sich die Leistung des einen so wunderbar anhand der Qualitäten des anderen aufzeigen läßt: Ulvang (30), nach dessen Ausdauerlunge die norwegische Luftgesellschaft SAS gar eine Maschine („Vegard Wiking“) getauft hat, gilt als Spezialist für die klassische Technik. Sein Freund Daehlie (26), ein Anhänger kurzer Distanzen, eher als Skater. Dennoch gewann er zur Freude der 130.000 an die Loipe gepilgerten Fans im Birkebeiner-Stadion gestern mit 18 Sekunden Vorsprung den 10-Kilometer-Klassiker vor dem Kasachen Wladimir Smirnow. Ulvang wurde Siebter.

Bei Behle und Mühlegg sind die Vorlieben ebenso brüderlich aufgeteilt. Der ältere Behle (33) bevorzugt den traditionellen Stil, er kam auf einen hervorragenden elften Rang. Der zehn Jahre jüngere Mühlegg liebt das, was sich Freistil nennt. Er wurde gestern 17., eine gute Ausgangsposition für das morgige Jagdrennen. Wie beim Schwimmen beschränkt sich die Freiheit des Stils allerdings auf die Wahl der schnellsten Technik. Und diese ist unbestritten das Skating, das sich die Langläufer von den Eisläufern abgekupfert haben.

Den Schlittschuhschritt hat der Finne Siitonen Mitte der 70er Jahre wiederbelebt. Erfunden hat ihn bereits 1931 der alte Skikönig Johan Gröttumsbraten. Die Amis wiederum sind nicht frei von Stolz, daß ausgerechnet einer der Ihren den klassischen nordischen Skinationen das moderne Laufen auf den schmalen Latten beigebracht hat. Bill Koch zeigte 1982 im Weltcup die neue Technik, was die Fortbewegung in der Loipe völlig auf den Kopf stellte.

1985 konnten die Traditionalisten ihre Ski entnervt in die Ecke stellen, die Entwicklung hatte sie überholt – bei der Weltmeisterschaft in Seefeld wurde nur noch geskatet. Was fürs Zuschauerauge ähnlich gewöhnungsbedürftig war wie das V des Bokloev-Stils. Wie bei den Skispringern schien die Ratio und mithin der Tribut an alles, was sich in Sekunden oder Metern messen läßt, ästhetische Prinzipien zurückgedrängt zu haben. Mit einem Unterschied: Die Klassiker kamen wieder, 1988 war die Zeit der Ästhetik des Widerstandes angebrochen. In Calgary entschlossen sich die Funktionäre zu einem weisen „Sowohl als Auch“. Jochen Behle: „Man wollte sich von der Masse der Langläufer, schließlich unser Publikum, nicht so weit entfernen wie die Rennrodler von den Freizeitschlitten.“ Behle lächelt: „Gott sei Dank.“ Er hatte nämlich just in jener Umbruchphase den Anschluß an die Spitze verloren.

Was für Jochen Behle, den achtmaligen deutschen Meister, der sich im Verfolgungsrennen einen Platz unter den ersten Zehn vorgenommen hat, das Umstellen auf den neuen Stil so schwierig machte? „Das Skaten ist viel statischer, im Freistil pendelt man, das Gleitbein kann sich beim Ausschwingen ausruhen.“ Was man in jedem Fall braucht, sind speziellere Muckis: Für einen Naturburschen aus dem Allgäu wie Johann Mühlegg („Ich bin ein Mensch, der wo eher ruhiger ist“) sind 400 Liegestütze in Serie eine Kleinigkeit. Er ist mit dem Schlittschuhschritt groß geworden, was ihn wiederum zur Klassik ein etwas gespanntes Verhältnis entwickeln ließ: „Du mußt viel genauer laufen, weil der Abdruck auf die Hundertstel genau passen muß, sonst läuft nämlich Dein Ski nicht mit Dir mit.“ Behle und Mühlegg, so ganz anders und doch so ähnlich. Beide leben nicht nur völlig für ihren Sport, beide wissen auch, trotz aller technischen Vorlieben: „Ein kompletter Langläufer muß beides beherrschen“ – Tradition und Moderne vereinen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen