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Mehr als ein „Ausländerradio“

■ Vor einem knappen Jahr ging „Radio Emigrec“ auf Sendung Von Alexander Cowell

Die Fete, die heute abend in der kleinen Markthalle steigt, ist auf eine Art ein Medienereignis. Mit Sendungsausschnitten, Fotos, Wandtafeln, Videoprojektionen und natürlich Musik will sich ein kleines Radio-Programm vorstellen: Radio Emigrec feiert sein einjähriges Bestehen.

Ein wenig verfrüht: die erste Sendung wurde am 2. April 1993 ausgestrahlt. Und auch nicht im Wellendschungel der UKW - das einstündige Programm, das jeden Freitag ab 21 Uhr den Offenen Kanal bereichert, dürfte nur einem Insiderkreis bekannt sein. Zugegeben, das Programm ist nicht für jeden gedacht: in dieser Stunde wird hauptsächlich griechisch gesprochen.

Zielgruppe der zehnköpfigen Redaktionscrew, der ganz paritätisch fünf Frauen und fünf Männer angehören, sind die rund sechstausend Griechen, die in und um Hamburg leben. Und die (wenigen) Einheimischen, die des Griechischen mächtig sind und sich (aus Leidenschaft) für das südlichste Balkanland interessieren. „Wir hätten gern mehr Zeit für das deutschsprachige Publikum zur Verfügung gehabt“, meint Kyriakos Xantinidis aus der Redaktionsgruppe. Für die Eingeborenen gibt es zu Beginn der Sendung Nachrichten aus Griechenland. Und wenn „es vom Thema her angebracht und zeitlich realisierbar erscheint“, werden auch im Hauptteil der Sendung Themen in deutscher Sprache behandelt.

Der ist nicht nur auf Beiträge beschränkt, die un- oder mittelbar etwas mit Griechenland zu tun haben. Das Interesse der StudentInnen, die die Sendung betreuen, ist genauso auf lokalpolitische und migrantenspezifische Angelegenheiten gerichtet - von der Novellierung des neuen Asylgesetzes über die Morde von Solingen, die Hamburger Bürgerschaftswahl bis zur Änderung des Paragraphen 218.

Spezifisch griechisch könnte die Vorstellung griechischer Institutionen in Hamburg oder die Porträtierung griechischer Persönlichkeiten aus Literatur, Musik und Sport sein. Zum vergangenen griechischen Nationalfeiertag zum Beispiel beschäftigte sich eine Sendung mit den desertierten Wehrmachtssoldaten, die sich den griechischen Widerstandskämpfern angeschlossen hatten.

Eins allerdings betonen die MacherInnen von Radio Emigrec: Ihr Konzept will den Rahmen des traditionellen Ausländerradios sprengen. Denn sie betrachten sich „eher als griechische Migranten in der BRD als einfach nur als Griechen“. Denn fast die ganze Redaktion gehört der zweiten Generation von Migranten an, solche, die Griechenland aus dem Urlaub und allenfalls aus der Familie, Hamburg aber aus ihrem Alltag, der Schule, der Arbeit und der Universität kennen.

Es versteht sich fast von selbst, daß es sich bei der Produktion des Radio-Emigrec-Programms um ehrenamtliche Arbeit handelt. Die RedakteurInnen finanzieren sich aus Vereinseinnahmen, die monatlich 100 DM betragen. Doch trotz der kargen finanziellen Mittel ist die Motivation der HobbyjournalistInnen groß. Nicht zuletzt, weil sie sich als Teil eines politischen Prozesses betrachten. „Wir haben uns in der Zeit nach den Morden in Mölln getroffen und wir haben nach Möglichkeiten gesucht, uns zu artikulieren“, erzählt Kyriakos Xantinidis.

Nur mit ihrem potentiellen Publikum sind die zehn RadiomacherInnen nicht so recht zufrieden. Denn die große Resonanz in Form von Briefen mit Verbesserungsvorschlägen und natürlich auch positiver Kritik, die sie sich bei der Gründung erhofft hatten, bleibt aus.

Und unter den wenigen Zuhörern, die sich zu einem kritischen Beitrag aufraffen, sind so manche, die das Fehlen wichtiger nationaler Themen bemängeln, wie zum Beispiel das Mazedonien-Problem. „Wir fühlen uns hier in Deutschland als potentielle Opfer einer Hochkonjunktur nationalistischer Gefühle, deswegen wollen wir nicht auch noch nationalistische Töne anstimmen“, verteidigt sich die Redaktion.

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