Allein und ausgeschlossen

■ Die niedersächsischen Arbeitslosen sind von den Wahlkämpfern enttäuscht

Hannover „Mir wird schlecht, wenn ich das höre“, kommentiert Karl-Heinz L., ein seit Jahren arbeitsloser Siebdrucker, den Landtagswahlkampf in Niedersachsen. Wenn Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) oder sein CDU-Herausforderer Christian Wulff die „Sicherung von Arbeitsplätzen“ beschwören, fühlt sich der 42jährige aus Hannover spürbar unwohl: „Ich stelle mir dann immer vor, daß die Arbeitsplätze mit einem bewachten Zaun gesichert sind, über den ich nicht mehr springen kann.“ Auch die stellenlose Computerexpertin Gisela H. erlebt den Arbeitsmarkt als unerreichbares Ziel: „Das ist eine Insel, auf der keiner mehr landen kann.“

So wie diese beiden sind knapp ein Drittel aller Arbeitslosen in Niedersachsen länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Rund 90 000 sogenannte Langzeitarbeitslose zählte die Statistik des Landesarbeitsamtes Ende November 1993. Ihre Perspektiven für eine Rücckehr in den Arbeitsmarkt sind nicht nur in Zeiten der Rezession düster. Selbst von einem wirtschaftlichen Aufschwung können Langzeitarbeitslose nicht viel erwarten. „Es wird immer schwerer, die Arbeitslosen wieder in das Beschäftigungssystem einzugliedern“, konstatiert Dieter Kleine, zuständig für Arbeitsmarktpolitik im niedersächsischen Sozialministerium.

Ob SPD oder CDU, FDP oder Bündnis 90/Die Grünen – das Thema Arbeit stellen alle Parteien, nicht nur in Niedersachsen, im Wahljahr 1994 in den Mittelpunkt. Die Langzeitarbeitslosen jedoch sehen sich übergangen. Die vielen griffigen Wahlkampfslogans interessieren sie nicht. „Ich empfinde Wut, ja fast schon Haß, wenn ich die Sonntagsreden der Politiker höre“, sagt die 47jährige Edith F. Ein Jahrzehnt hat sie ohne Berufsausbildung als Altenpflegerin gearbeitet. Dann verlor sie 1986 ihre Stelle, weil ihr Rücken unter der Arbeit litt. Die Suche nach einer körperlich weniger belastenden Stelle gibt Edith F. nicht auf. Doch auf die Hilfe der Politiker zählt sie dabei nicht.

Diese Arbeitslosen fühlen sich allein gelassen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Staatliche Förderprogramme wie die Einrichtung von sozialen Betrieben, in denen rund 1 200 niedersächsische Langzeitarbeitslose beschäftigt sind, bewerten sie skeptisch. „Was nützen solche Programme, wenn die Fördergelder immer mehr zusammengestrichen werden?“, meint Karl-Heinz L. Noch bedrohlicher empfinden die Stellenlosen die Kürzungen bei den Sozialleistungen. „Der Existenzkampf ist härter geworden“, sagt Edith F. Obwohl sie der Politik kaum noch etwas zutraut, will sie am 13. März wählen und sich für die Partei entscheiden, „deren Politik mir sozialer als die der anderen erscheint.“

Das gilt auch für die 49jährige Gisela H. Früher, als qualifizierte und gutbezahlte Arbeitskraft in der Computerbranche, habe sie die Politik überhaupt nicht interessiert. Erst als sie ihre Stelle verlor und gegen die Männer in ihrer Branche nicht mehr ankam, habe sich das geändert. „Und wenn selbst Schlafmützen wie ich aufwachen, dann heißt das schon was,“ unterstreicht sie. Doch große Hoffnungen verbindet Gisela H. nicht mit ihrer Stimmabgabe: „Welches Gewicht habe ich denn noch als Arbeitslose in dieser Gesellschaft?“

Kai Portmann/dpa