piwik no script img

Die zweite Vereinigung des Jemen

Der Präsident aus dem Norden und sein Stellvertreter aus dem Süden unterzeichneten eine Vereinbarung, mit der ein erneutes Auseinanderbrechen des Landes vermieden werden soll  ■ Aus Amman Khalil Abied

Der jordanische König Hussein Bin Talal ist zufrieden. Seine mühsamen Versuche, die verfeindeten jemenitischen „Brüder“, Präsident Ali Abdullah Saleh und seinen Stellvertreter Ali Salem el-Bied, unter ein Dach zu bringen und zu versöhnen, waren von Erfolg gekrönt: Die beiden „Alis“ unterzeichneten gestern in der jordanischen Hauptstadt Amman im Rahmen einer prächtigen Zeremonie ein „Dokument der Eintracht und des Schwurs“.

Daß die miteinander streitenden jemenitischen Machthaber die Versöhnungsurkunde in Jordanien und nicht in ihrem eigenen Land unterschrieben haben, zeigt das Ausmaß der Krise in „Alyaman Al Sa'eed“, dem glücklichen Jemen, wie das Land im Koran und in der alten arabischen Literatur genannt wurde. Eine Krise, die das Land an den Rand eines Bürgerkrieges und einer neuerlichen Spaltung führte.

Seit August letzten Jahres kapselte sich Vizepräsident el-Bied in Aden ab, der ehemaligen Hauptstadt des Südjemen, und verweigerte jeden Kontakt mit Präsident Saleh, der aus dem Nordjemen stammt. El Bied ist auch der Generalsekrektär der Sozialistischen Partei (SP), die den Südjemen seit seiner Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus 1967 bis zur Wiedervereinigung des Landes 1990 regierte. Premierminister Haidar el-Atas sowie mehrere Minister und Politiker der SP nahmen dieselbe Haltung ein.

El Bied und seine Partei warfen Präsident Saleh vor, er versuche, die Macht zu monopolisieren und die „südlichen“ Politiker sowie die „südlichen“ Provinzen zu marginalisieren. Präsident Saleh ist zugleich der Generalsekretär des Volkskongresses, der stärksten Partei im ehemaligen Nordjemen.

Nach dem Zusammenschluß beider Staaten – der eine konservativ-feudalistisch, der andere sozialistisch geprägt – einigten sich die beiden großen Parteien auf eine dreijährige Übergangsperiode zur Organisierung freier Wahlen im ganzen Lande. Doch nach dem Urnengang von 1993 sollten sich die Wege wieder trennen.

Aus den Wahlen ging der Volkskongreß von Präsident Saleh als Sieger hervor. Mit der Mehreit der Stimmen aus den südlichen Provinzen errangen die Sozialisten den dritten Platz. An zweiter Stelle lag eine „nördliche“ Gruppe, die „Jemenitische Versammlung für Reformen“, eine konservative, prosaudische Organisation, die einen starken Einfluß unter einigen größeren Stämmen im Nordjemen genießt.

Die drei Parteien teilten sich die Macht. Der Volkskongreß bekam den Präsidentenposten, die SP die Vizepräsidentschaft und den Posten des Premierministers. Der Parlamentssprecher kam aus den Reihen der „Versammlung“.

Doch diese Machtteilung stellte die Partner auf Dauer nicht zufrieden. Die SP warf den „nördlichen“ Parteien vor, ein Bündnis hinter ihrem Rücken zu bilden, um sie zu schwächen und aus dem politischen Leben auszuschließen. In der Verfassung, die das gewählte Parlament gebilligt hatte, war nämlich die Stellung des Vizepräsidenten eingeschränkt worden. Fast zwei Drittel der Parlamentarier sind Mitglieder der beiden Parteien aus dem Norden.

Andere Vorwürfe der SP lauteten, die „nördlichen“ Parteien versuchten, Entwicklungsprojekte nur in ihren Regionen durchzuführen und die südlichen Gebiete des Landes zu ignorieren. Als Beispiel nannten die Sozialisten die Lage von Aden, der früheren Hauptstadt des Südjemen. Die Stadt ist wirtschaftlich ruiniert, die Bevölkerung leidet unter Wohnungsnot und starker Arbeitslosigkeit.

Die Politiker des Volkskongresses wiesen diese Vorwürfe zurück und warfen ihrerseits den „südlichen“ Politikern vor, die Spielregeln der Demokratie nicht zu akzeptieren und die Einheit des Jemens zu gefährden, um ihre eigenen Interessen zu schützen.

Trotz der Vereinigung ist der Jemen in mehreren Bereichen gespalten geblieben. Außer dem Parlament, der gemeinsamen Fahne, der Nationalhymne und der Währung ist praktisch alles beim alten geblieben. Die beiden Armeen und die Nachrichtendienste wurden nicht vereinigt. In den Schulen und Universitäten wird nach den gleichen Lehrplänen unterrichtet wie früher.

Beide Teile des Landes besitzen nach wie vor ihre eigenen Rundfunk- und TV-Sender sowie ihre eigenen Zeitungen und Zeitschriften. Diese schürten in den letzten Monaten die Stimmung gegen die jeweils andere Seite. Zuletzt hatten die beiden Parteien gar „ihre“ Militäreinheiten an der alten Grenze stationiert.

Die anderen jemenitischen Parteien bemühten sich, die explosive Lage zu beruhigen. Nach Marathon-Beratungen riefen sie zusammen mit den streitenden Parteien ein „Dialogkomitee“ ins Leben. Nach mehrmonatigen Verhandlungen gelang es dem Komitee, einen Kompromiß zu formulieren, der den Namen „Das Dokument der Eintracht und des Schwurs“ trägt. Danach sollen die Kompetenzen des Vizepräsidenten erweitert werden. Außerdem soll eine Art Föderativsystem geschaffen werden, in dem die Provinzen größere Befugnisse haben.

Die Frage, wo man das Dokument unterzeichnen soll, hatte allerdings eine weitere Krise verursacht. Die SP lehnte eine entsprechende Zeremonie in der (nord-) jemenitischen Hauptstadt Sanaa ab. Der Grund: Die Lage dort sei für die Sozialisten nicht sicher. Da trat der jordanische König Hussein auf den Plan, der sich in den letzten Monaten bemüht hatte, zwischen den beiden streitenden Parteien zu schlichten. Der Jemen ist einer der größten wirtschaftlichen Partner Jordaniens. Auch zielt der König mit seinen Bemühungen darauf, die politische und die regionale Rolle Jordaniens zu stärken.

Die Unterzeichnung des Dokuments wurde gestern von jordanischen und jemenitischen Politikern als „ein historischer Schritt“ beschrieben. „Aber entscheidend ist die Verwirklichung des Dokuments“, meinte ein erfahrener jordanischer Politiker skeptisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen