: Erinnerung mit dem Zentimetermaß
■ Die Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Steglitz entscheidet am heutigen Mittwoch über den Bau oder Nichtbau eines Denkmals für deportioerte und ermordete jüdische Bürger
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus wird der Geldhahn zugedreht. Der Jüdischen Wochenzeitung droht das Aus, weil niemand mehr inseriert und die Meinungen der Jüdischen Gemeinde kaum jemanden interessiert. Das ist die neue Normalzeit. Sehr gut hinein paßt da der schon lange zur Farce gewordene Denkmalstreit im Bezirk Steglitz.
Dort geht es seit Monaten um die Frage, wieviele Namen der ermordeten Steglitzer Juden auf wieviele Meter spiegelverchromtes „Denkzeichen“ am Hermann-Ehlers-Platz passen. Der im Oktober 1992 preisgekrönte Entwurf von Wolfgang Görsche und Joachim von Rosenberg sieht 2.000 Namen auf elf Meter vor. Eine von der BVV eingesetzte Arbeitsgruppe einigte sich auf einen Kompromiß von neun Meter Spiegelwand. Der CDU gefiel das gar nicht. Denn sie hatte mit der SPD nur sieben Meter vereinbart, allerdings ohne die Künstler zu fragen. Von Anfang an mißtrauisch waren die „Republikaner“. Ihren Antrag, das ganze Projekt fallen zu lassen, zogen sie im Januar zurück.
Heute steht ihr Anliegen an die konservativ und rechts dominierte BVV wieder auf der Tagesordnung. Allerdings nicht auf Vorschlag der Reps, sondern auf Antrag des CDU-Baustadtrates Rene Rögner-Francke. Die BVV möge beschließen, vom gesamten Vorhaben „ersatzlos Abstand“ zu nehmen, heißt der erste Satz der vierseitigen Vorlage. „Die Spekulation eines Bezuges weise ich entschieden zurück“, sagt er. Sein Antrag sei lediglich die „Konsequenz“ aus der „Tatsache“, daß die Künstler und die von der BVV eingesetzte Arbeitsgruppe sich nicht an einen eindeutig formulierten Überarbeitungsbeschluß der BVV vom Juni 1993 gehalten habe. Laut diesem Beschluß sollten neben den vorgesehenen Namenslisten der Deportierten einzelne jüdische Persönlichkeiten hervorgehoben werden. Völlig gestrichen werden sollte „jeglicher Vergleich zwischen dem Holocaust und dem aktuellem Geschehen“ und neu bestimmt auch die endgültige Größe des Denkmals. Die Meterzahl sollte gemeinsam mit dem Bauherren erarbeitet werden. „All dies ist nicht geschehen“, sagt jetzt der Bauherr, der Baustadtrat und der Antragsteller Rögner-Francke in Personalunion. Deshalb bliebe nichts anderes übrig, als der BVV eine Ablehnung zu empfehlen.
Diese Darstellung weisen die Architekten und Mitglieder der Arbeitsgruppe entschieden zurück. Man habe sich genau an den BVV-Beschluß gehalten und den Spiegelwand-Entwurf auf neun Meter gekürzt. „Wenn die CDU und Rögner-Francke jetzt aber auf sieben Meter bestehen, entspricht das nicht dem BVV-Beschluß“, sagt Joachim von Rosenberg, „sondern ist Parteipolitik.“ Denn von Metern ist in der BVV-Vorlage nichts zu lesen. Auch in den anderen Punkten sei die Arbeitsgruppe dem Auftrag der BVV in jeder Weise entgegengekommen.
Die Künstler haben jetzt ein Rechtsanwaltsbüro mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt, und die SPD wird heute einen Dringlichkeitsantrag einbringen, den von der Arbeitsgruppe ausgehandelten, aber von der CDU nicht akzeptierten Kompromiß doch noch zu realisieren. Bei den konservativen Mehrheitsverhältnissen in Steglitz vermutlich ein aussichtloses Unterfangen. Anita Kugler
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