: Schließlich ist Pfingsten
■ Peter Handkes Filmmärchen „Die Abwesenheit“ serviert ein Abendmahl
Die Welt ist schlecht, denn sie ist laut. Propheten, Sünder, Heilige und Huren. Das gelobte Land liegt hinter den Bergen, aber der Teufel auf zwei Rädern erobert heutzutage sogar das Paradies. Armer Dichter.
Wie im richtigen Märchen gibt es in der „Abwesenheit“ keine Charaktere, sondern nur Typen. Der alte Dichter (Eustaquio Barjau), ist egozentrisch, selbstverliebt und unpolitisch. Leider auch unproduktiv. Logisch liebt er die Natur und haßt den Autoverkehr. Logisch geht er auf Reisen. Seinwärts vorzugsweise. Er gefällt sich in der Rolle des Propheten. Seine Gefolgschaft ist ihm ergeben.
Die Gefolgschaft: ein Spieler, ein Soldat und eine junge Frau. Der Spieler (Bruno Ganz) ist reich und geschäftig. Der Soldat (Alex Descas) ist schwarz und politisch betroffen – er sagt ständig die Namen hingerichteter chinesischer Studenten auf. Die junge Frau (Sophie Semin) war als Kind verrückt, ist am Schreibtisch erfolglos und prostituiert sich statt dessen. Die vier Figuren treffen an einer Wegkreuzung im Wald aufeinander und müssen nun lernen, daß es auf ihre Sphäre ankommt. Wehe dem, der keine hat, dem sie vom Höllenlärm der Zivilisation schon zersetzt wurde!
Das letzte Abendmahl wird in Katalonien zelebriert, toller noch als bei Leonardo da Vinci, dafür mit Kindheitserinnerungen. Da nur die Abwesenden unschuldig sind, verschwindet der gute alte Prophet und überläßt seinem Gefolge die Suche. Die Suche nach dem Nichts und die Suche nach den Worten. Schließlich ist Pfingsten, und der Soldat ist der erste, den der Heilige Geist zu ergreifen scheint.
Die Frauen – neben der „jungen Frau“ in der Vierergruppe der Reisenden die Ehefrau des Dichters (Jeanne Moreau) und die Mütter der Reisenden – opfern sich auf als Mütter, als Geliebte und als Anschauungsobjekt für Psychiatriestudenten. Nützlich ist ihre Einfühlsamkeit und ihre ausgeprägte Intuition, die sie auf die richtige Fährte bringt. Es gibt Hinweise darauf, daß Frauen sogar einen Bus fahren können oder das Wort ergreifen.
Das Grün der Wälder, die Bergwelt der Pyrenäen, Brot und Wein auf hölzernem Tisch, ein toter Fisch, der Fluß, die Spur im Sand: Die Bilder werden nebeneinandergesetzt wie die Wege der unterschiedlichen Personen. Dem fehlenden Erzählfluß entspricht ein fehlender Bilderfluß.
Der Ton wird skizzenhaft überzogen: Ohrenbetäubender Verkehrslärm bricht in die Stille der Natur, immer wieder. Wenige laute Gefühlausbrüche des Soldaten kontrastieren mit ständigen monotonen Belehrungen des Alten. Es gibt keine Hintergründe und kein Schattierungen in dieser Märchenwelt von Gut und Böse, Lärm und Stille. Dialoge und vor allem Monologe wirken wie nachgesprochen – als wäre der Text vor dem Sprechen dagewesen. Die Mischung deutscher, französischer, spanischer und katalanischer Sprachfetzen unterstützt den Eindruck einer künstlichen Sprache. Und in der Tat geht es in diesem Film in erster Linie um Worte und nicht um Menschen.
Den Schluß des Films bildet das Fest der Abwesenheit: Eine Gesellschaft, die sich im Grunde nichts zu sagen hat, hockt am Meer und macht einen jämmerlichen Eindruck. Mit einer Ausnahme: Jeanne Moreau als Frau des Propheten legt ihren Heiligenschein ab und beschimpft ihren Mann, den Abwesenden, als egozentrischen Idioten.
Seit wann distanzieren sich Märchenerzähler von ihrem Helden? – Und wieso dann dieser Film? – Ist dies das Dilemma des Intellektuellen, daß er Prophet sein und in Ruhe die Welt bejammern will, aber dann irgendjemand, schlimmstenfalls eine verdammt gutaussehende Frau daherkommt und ihn als egozentrischenKindskopf enttarnt? In der Literaturvorlage Peter Handkes gibt es diese Figur nicht. Vielleicht dämmerte es da jemandem, wie ermüdend es wirkt, dem Publikum exzessiv seine Psyche, sein „Sphäre“ und seine Idee vom Heiligen Geist vorzuführen. „Der letzte Krieg tobt“, schreit ein Störenfried den Gästen auf dem Fest der Abwesenheit entgegen. „Ihr wißt es nur noch nicht!“ – Woher auch? Ursula Pfennig
„Die Abwesenheit“. Regie: Peter Handke, mit Jeanne Moreau, Alex Descas, Bruno Ganz u.a. Deutschland 1993.
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