Ich lebe im Flugzeug

■ The family that plays together: Der argentinische Bandoneon-Spieler und Komponist Dino Saluzzi mit Sohn und Brüdern heute abend im Franz-Club

Tango – immer noch en vogue, zwischendurch mal oder schon wieder. Auch der Tod von Astor Piazzola hat daran nichts geändert – es gibt ja noch andere Könner in Argentinien. Zum Beispiel Dino Saluzzi, der heute abend zusammen mit seiner Familie (!) im Franz-Club spielen wird. Der im Jahr 1935 geborene Saluzzi spielt die Knopfharmonika namens Bandoneon, die im letzten Jahrhundert von dem Musiklehrer Heinrich Band in Deutschland entwickelt wurde. Aber nur die Wurzeln dieser Musik liegen wirklich im Tango. Saluzzis Musik ist angereichert mit diversen Klangfarben – ein weiteres Produkt der Verschmelzung von afrikanischer, südamerikanischer und auch europäischer Folklore.

taz: Sie sind in Campo-Santo geboren, lese ich. Ist das eine Stadt?

Dino Saluzzi: Nein, es ist ein sehr kleines Dorf im Norden Argentiniens, nah der uruguayischen Grenze. Es ist ein wirklich kleines Dorf, dort lebt fast nur meine Familie. Die ganze Region ist sehr arm. Die meisten arbeiten sowieso in der Zuckerfabrik. In die Gegend kamen früher viele italienische Auswanderer.

Sie stammen ja auch aus einer Familie italienischer Auswanderer und Arbeiter...

Ja, meine Eltern sind Italiener, und mein Vater war auch tatsächlich ein Fabrikarbeiter. Er war aber auch mein erster Musiklehrer. Er hat mich und meine Brüder in die Folkmusik eingeführt. Seit ich sieben bin, spiele ich Bandoneon. Ich liebe diesen kleinen schwarzen Kasten. Es ist ein sehr altes Instrument – made in Germany.

Haben Sie früher auch in der Fabrik gearbeitet?

Nein, zum Glück waren da schon andere Zeiten.

Ist Ihr Zuhause immer noch Campo-Santo?

Eigentlich lebe ich im Flugzeug. Meine Wohnung aber ist in Buenos Aires. Wenn ich Zeit habe, fahre ich aber dahin, wo das Haus meiner Mutter steht. Das ewige Reisen ist schon schrecklich, aber ich habe leider keine andere Wahl. Ich habe vom Finanziellen her nicht die Möglichkeit, es mir anders zu überlegen.

Sie haben auch einige Zeit in Deutschland gelebt?

Oh ja, für zwei Jahre, in Waiblingen, in der Nähe von Stuttgart. Es war alles in allem eine schöne Zeit, und ich habe seitdem auch viele Freunde dort. Ich mag sie, die Schwaben.

Ihre letzte Veröffentlichung in Deutschland war „Mojotoro“. Was heißt das?

Mojotoro heißt ein Fluß in der Nähe meines Heimatdorfes. Die Platte ist voller Erinnerungen an meine Kindheit. Es war auch das erste Mal, daß ich eine Veröffentlichung für Deutschland in Buenos Aires aufgenommen habe. Ich brauchte aber auch diese Atmosphäre, um solche feinen Gefühle zu äußern.

ist das wirklich noch Tango, was Sie da spielen?

Sicher spiele ich eine Art Tango, aber nicht diese folkloristischen Klänge, die man darunter versteht. Meine Musik ist kunstvoller, auch nicht immer unkompliziert.

In einer kleinen Notiz in der CD-Beilage schreiben Sie, daß „Mojotoro“ ein Ausdruck der „universellen Hoffnung“ ist. Ist das nicht sehr allgemein?

Wenn Sie es so wollen, ist es die Hoffnung, daß sich die Leute besinnen. Ich versuche, auf meine Art den Leuten zu sagen: denkt nach. Es gibt keinen Grund, den Tod extra noch herbeizurufen, irgendwann kommt er sowieso für alle. Jede Kultur soll ein Existenzrecht und eine Aussicht auf weitere Entwicklung haben.

Im gleichen Text schreiben Sie, daß die Musik zwischen Abstraktion und Wirklichkeit pendelt.

Ja, genau wie im Leben. Unser Leben besteht zur Hälfte aus Phantasien.

Auf Ihrer Tournee treten Sie mit Ihren Brüdern Celso (Bandoneon) und Felix (Saxophon) auf. Der Sohn José Maria am Schlagzeug ist auch dabei. Wie ist das, mit der Familie Musik zu machen?

Na, phantastisch. Muß doch einfach Spaß machen.

Wie viele Platten haben Sie bislang in Argentinien gemacht?

Soweit ich das selber weiß, gibt es elf Platten von mir in Argentinien. Die Aufnahmen sind mehr folkloristisch, sagen wir, etwas für ein breiteres Publikum – was nicht heißen soll, daß ich andere künstlerische Ansprüche stelle.

Sind sie in Argentinien eine Art Popstar?

Was heißt schon populär? Populär sind dort nur die Politiker. Den Leuten kann man und soll man nicht vertrauen. Die tun alle so, als ob sie unsterblich wären. Dabei ist es schon so, daß die Leute meine Platten kaufen; die Offiziellen mögen mich nicht – und meine Ideen schon gar nicht. Vor zwölf Jahren wurde ich das letzte Mal von offizieller Seite, also von staatlichen Kulturinstitutionen und dem Fernsehen gebeten, ein Konzert zu geben. Aber sei's drum: Manche verkaufen sich als Söldner, um im Krieg andere Menschen umzubringen. Ich will nicht das gleiche mit meiner Musik machen.

Interview: Nikos Theodorakopulos

Heute abend, 20 Uhr im Franz- Club, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg