: Noch zur rechten Zeit
■ "Oskar Schindler - Die wahre Geschichte", Sonntag, 19 Uhr, Premiere (clear)
„He killed some Jews too, natürlich“, sagt Helena Hirsch über den KZ-Lagerkommandanten Amon Goeth, der am 13.9. 1946 für seine Kriegsverbrechen hingerichtet wurde. Das gebrochene Englisch der Frau schwankt zwischen Verwirrung, Trotz und Ignoranz, als sie fortfährt: „Er war kein brutaler Killer. Er hat es nicht zum Spaß getan.“ Makabre Worte angesichts der vielfach bestätigten Tatsache, daß Goeth dafür bekannt war, morgens vom Balkon herunter wahllos jüdische Gefangene zu erschießen. Helena Hirsch, die Geliebte Goeths, starb 1983 nur wenige Tage nach dem Interview.
Amon Goeth verband eine seltsame „Freundschaft“ mit Oskar Schindler. Dessen außergewöhnliche Geschichte blieb lange Zeit nur in der Erinnerung jener 1.300 Juden lebendig, die Schindler vor dem Tod in der Gaskammer bewahrt hatte. Einer von ihnen war Podek Pfefferberg, dessen Lederwarengeschäft in Beverly Hills Thomas Keneally im Oktober 1980 betrat. Binnen der zwanzig Minuten, die man beim Bezahlen auf die Bonität von Keneallys australischer Kreditkarte warten mußte, erzählte Pfefferberg dem Schriftsteller Schindlers Geschichte, die er zuvor zahlreichen Produzenten erfolglos angeboten hatte. Keneally recherchierte daraufhin die Fakten, und als zwei Jahre später „Schindlers Liste“ als Buch erschien, wurde, wie wir inzwischen wissen, Steven Spielberg auf den US-Bestseller aufmerksam.
1983 erhielt „Schindlers Liste“ in London den begehrten „Booker“-Literaturpreis. Fürs britische Fernsehen drehte Jon Blair nun einen 78minütigen Dokumentarfilm, von dem hierzulande ebensowenig Notiz genommen wurde wie von der im selben Jahr bei Bertelsmann erschienenen deutschen Ausgabe von „Schindlers Liste“. Das änderte sich erst, als die Sensationsmeldungen über Spielbergs Schindler-Verfilmung über die Ticker ging.
Der künstlerische Erfolg Spielbergs ist auf den zweiten Blick nicht mehr überraschend. Das Hollywood-System muß sich von Zeit zu Zeit durch qualitativ hochwertige Produktionen aus der Krise manövrieren. Die positive Publicity von „Schindlers Liste“ nahm jetzt der Hamburger Pay- TV-Sender Premiere zum Anlaß, sein Programm kurzfristig zu ändern. Am Sonntag wird um 19.00 Uhr „Oskar Schindler – Die wahre Geschichte“ unverschlüsselt ausgestrahlt.
Angesichts jener degutanten Pöbeleinen in der Gaskammer von Auschwitz (Althans in Bonengels „Beruf Neonazi“) kommt dieser Dokumentarfilm trotz zehn Jahren Verspätung irgendwie doch noch zur rechten Zeit. Vor der Kamera berichten Überlebende, die Schindler vor dem Tod bewahrt hatte, wie es in dem Vernichtungslager wirklich zuging. Ein publizistisches Gegengift, das in der Spur eines Hollywood-Erfolges verabreicht wird.
Jon Blair (Buch, Regie, Produktion) rekonstruiert Schindlers Geschichte anhand von Zeitzeugenberichten und Archivmaterial. Die für englische Dokumentationen übliche Dramatisierung des Materials – stumme Auschwitz-Archivfilme werden nachvertont, Fotografien mit Geräuschen unterlegt – stört kaum. Blair verläßt sich glücklicherweise auf die Aussagen der Zeitzeugen. Auch Schindlers Frau kommt zu Wort.
Faszinierend zu verfolgen ist die durchgehend ambivalente Schilderung von Schindlers Charakter. Der Mann muß ein leutseliger Großkotz gewesen sein, bis zu seinem Tod. So verwundert es nicht, daß einige der im Film zu Wort kommenden Überlebenden Schindler bis heute für einen geschickt agierenden Nazi halten. Aber, fügt ein anderer Zeitzeuge sinngemäß hinzu: Nur aufgrund seiner zwiespältigen Natur sei es Schindler möglich gewesen, das Vertrauen der Massenmörder zu erschleichen, um seine 1.300 Gefangenen durchzubringen.
Der Film endet mit einigen tristen Schwarzweißaufnahmen, die Schindler kurz vor seinem Tod in Frankfurt zeigen. Daß nur wenig Bildmaterial von ihm existiert, ist symptomatisch für das Interesse an der Bewältigung hierzulande. So müssen wir uns einmal mehr unsere Geschichte von ausländischen Filmemachern erzählen lassen. Manfred Riepe
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