: Der Gefreite liegt oben
Eine Rede über den Zustand der nigerianischen Literatur, über ihren Sexismus im besonderen ■ Von Adewale Maya-Pearce
Kürzlich habe ich – in Abwandlung eines Wortes von Chinua Achebe – behauptet, das Problem der nigerianischen Schriftsteller sei schlicht und ergreifend, daß sie von der mißlichen Lage, in der sie sich befinde, ganz offensichtlich überfordert sind: was sich in ihren Büchern zeigt.
Mir ist natürlich bewußt, daß mancher hier Anwesende die nigerianische Literatur für ein Juwel in der Krone der Weltliteratur hält. In einem Land, in dem jeder Verrückte in Uniform die gewählte Abgeordnetenversammlung nach Hause schicken und die Macht ergreifen kann, sucht man halt Trost, wo man ihn findet ...
Auf der einen Seite sind Schriftsteller selbstverständlich genauso hilflos wie jede andere Gruppe von Bürgern, denen man mit der Knarre Bescheid gibt. Und ich kann mir auch den psychischen und emotionalen Streß für einen Schriftsteller vorstellen in einem Land, das keine Werte außer den materiellen gelten läßt. Wenn jedoch ein weltberühmter Romancier – allerdings etwas zu laut – verkündet, daß die Vorstellung einer Kunst um der Kunst willen nichts anderes sei als „parfümierte Hundescheiße“, und wenn sich dann niemand in der Lage sieht, solche Worte zu kritisieren, sondern, im Gegenteil, alle ihm lauthals zustimmen, dann muß man ein paar lästige Fragen stellen dürfen. Entweder glauben wir, daß „Kunst autonom und Literatur ihre eigene Rechtfertigung“ ist – oder wir finden, daß sogar Gedichte „relevant“ sein müssen. Falls wir letzterem zustimmen, haben wir wenig zu sagen.
Nehmen Sie, zum Beispiel, einen bekannten nigerianischen Roman, in dem der Protagonist, ein ehrgeiziger junger Mann, sich im Haus seines früheren Lehrers einfindet, der Minister geworden ist.
So wird ein Nigerianer Revolutionär?
Odili, der sich ein Stipendium für einen England-Aufenthalt erhofft, ist nicht bereit, „dafür meine Seele zu verkaufen oder jemanden dafür um Hilfe zu bitten“. Er nimmt die Einladung, sich ein paar Tage in der Hauptstadt zu vergnügen, nur an, weil es ihm Gelegenheit gibt, mit seiner Freundin Elsie zu schlafen. Was Elsie, eine Schwesternschülerin, angeht, informiert der Autor Chinua Achebe uns in der Sprache seines Protagonisten Odili darüber, daß sie „das einzige Mädchen war, mit dem ich noch am Tag unserer Bekanntschaft gleich geschlafen habe, sogar innerhalb von einer Stunde“. Dies, so setzt er schnell hinzu, erwähne er nicht etwa, um anzugeben, „schließlich gibt es größere Rekorde“, oder weil er sie etwa in unseren Augen „herabsetzen“ möchte. Es ist einfach nur, daß es „eben so war“. Na ja, und der Wahrheit muß natürlich die Ehre gegeben werden.
Die verehrten Leser mögen sich wundern, warum gerade diese eine „Wahrheit“ über Elsie geehrt werden muß, bevor sie noch Gelegenheit hatten, die arme Frau selbst zu treffen, aber es gibt dafür Grund genug, wie wir gleich herausfinden werden.
Wie der Zufall so spielt, fährt die ausgediente Ehefrau des Ministers gerade in ihr Dorf zurück (oder wird dorthin zwangsverschickt?) und räumt also das Feld für unseren unternehmungslustigen Junggesellen und seinen ebenso ausschweifenden Mentor. Odili arrangiert, daß Elsie und eine Freundin ihn zu einem literarischen Empfang begleiten, auf dem sein Gastgeber, der Kulturminister, die Rede hält; Elsies Freundin jedoch kann am Ende nicht kommen, woraufhin der Minister die Gelegenheit erhält, Elsie aus Odilis Bett zu „stehlen“ (aber was soll man auch von einer Hure anderes erwarten?). Wutentbrannt verzieht sich Odili und geht zu einem Freund aus der Studentenzeit, der, wie der Zufall wieder einmal so spielt, gerade dabei ist, eine Oppositionspartei zu gründen, die gegen den frauenstehlenden, alten Bock bei den anstehenden Wahlen antreten soll. Der schnell entschlossene Odili ergreift die Gelegenheit: „Ich flatterte herum wie ein kopfloses Huhn, als ich plötzlich den Ausweg sah. Ich sah, daß Elsie überhaupt gar nicht zählte. Was zählte, war, daß mich ein Mann in einer Weise behandelt hatte, wie kein Mann das Recht hat, einen anderen zu behandeln, selbst wenn der eine der Herr ist und der andere der Sklave. Meine Männlichkeit erforderte, daß er für diese Beleidigung zu zahlen hatte. Und in Fleisch und Blut gedacht war der Preis, wie ich begriff, nichts anderes, als die Zukünftige (des Ministers), die ich finden und der ich es machen mußte, gut und kräftig. Das alles raste mir durch den Kopf in einem raschen Moment blitzartiger Erleuchtung ...“
Rache also und nicht politische Überzeugung läßt unseren Helden in Aktion treten. Insofern ist sein erstes Motiv für die Beteiligung bei den Wahlen nicht etwa der Dienst an seinem leidenden Volk, sondern die Eroberung der Zukünftigen seines Feindes, einer gewissen Edna, damit sein ansonsten vernichtetes Ego sich wieder aufrichten kann. So weit, so schlimm. Aber es kommt noch schlimmer. Bald stellt sich nämlich heraus, daß Odili sich offenbar von edleren Motiven bewegt hält, als es ganz offensichtlich der Fall ist: „Mein Vater war der Meinung [...], die Hauptwurzel politischen Handelns sei nur persönliches Gewinnstreben, eine Auffassung, die, wie ich zugeben muß, weit mehr dem durchschnittlichen Denken im Land entsprach als die hohen Ideale von Leuten wie Max und mir“ (sic!). Edna, die „Zukünftige“, ist natürlich jung, schön und dumm ... und, jawohl, der junge Egoist setzt am Ende seine Pläne in die Tat um, aber erst, nachdem er sich im Feuer der Schlacht erprobt hat. Ende der Geschichte.
Bürgerkrieg und Pornographie
Frauen sind nur dazu da, gevögelt zu werden – innerhalb von 20 Minuten, wenn möglich, und länger, wenn nötig. Kurz nach dem Bericht seiner Eroberung Elsies meint Odili uns mit einer weiteren Geschichte erfreuen zu müssen, in der es um eine weitere Eroberung durch einen weiteren Mann geht, welche für die uns angeblich vorliegende Geschichte einer „ziemlich heftigen Kritik [...] am Afrika nach der Unabhängigkeit“ noch weniger Relevanz besitzt.
Da heißt es: „Seine am meisten gefeierte Eroberung war eine junge Studentin, die derart unzugänglich war, daß die Jungs sie die ,Unreitbare‘ getauft hatten. Irre begann, sich für sie zu interessieren, und schwor, daß er sie eines nicht allzu fernen Tages ,einreiten‘ werde. Eines Nachmittags sahen wir sie in sein Zimmer gehen. Als sich das herumsprach, summte es auf unserem Flur vor Aufregung, und schließlich stand der ganze Korridor voll mit kleinen Gruppen. Wir warteten. Eine halbe Stunde später kam Irre heraus, schweißüberströmt. Leise schloß er die Tür hinter sich, dann hielt er das Kondom hoch ...“
Nur dieses Element der Schuljungenidiotie rettet „Ein Mann des Volkes“ vor dem Pornographievorwurf, obwohl es sicher für alle Beteiligten, die Frauen nicht ausgeschlossen, besser gewesen wäre, wenn der Autor von Anfang an eine ehrliche Pornogeschichte geschrieben hätte.
Herausgekommen wäre ein weniger unehrliches Buch oder wenigstens eines, das sich nichts auf eine Moral einbildet, die es nicht besitzt, wie beispielsweise Cyprian Ekwensis „Jagua Nana“, ein genau aus diesem Grunde so viel überzeugenderes (und kraftvolleres) Buch.
Was die Sache selbst, also rich
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
tige Pornographie, angeht, so braucht man nicht lange zu suchen, sondern kann gleich Eddie Irohs Bürgerkriegstrilogie zur Hand nehmen. Denn darin hat sich der Autor offenbar zu sehr von der kruden Mechanik ähnlicher Macht verführen lassen, als daß er die Tragödie des Krieges auch nur annähernd in ihrer Konkretheit zu beschreiben vermochte. So sind die Söldner des ersten Bandes („Forty-Eight Guns for the General“) anscheinend ganz und gar motiviert von dem, was William Faulkner einmal die „böse und flache Qualität geprägten Metalls“ genannt hat. Unvermeidlich ist da wohl, daß solche Männer ebenso brutal mit Frauen umgehen wie mit dem Feind, was beides für ihre Zwecke recht eigentlich austauschbar ist. Und schließlich macht es keinen Spaß, eine Knarre zu haben, wenn man sie nicht benutzen kann, wie zum Beispiel auf folgende Weise: „Wenda Brittas Oberarm war ein häßliches Geschmier aus violetten Fingerabdrücken. Wildes Umsichschlagen, Geschrei und kräftige Gegenwehr hatten verhindert, daß die plündernden, heißen Hände des alten Nazis ihren Slip erreichten. Aber der Anblick ihrer milchigen Schenkel zündete die Lust des Wahnsinnigen in Hans Heinz [...] Wenda Britta war nicht nur eine schöne Blondine, sondern auch eine kräftige Frau [...] ,Mein Gott! Mein Gott, oh, oh!‘, stöhnte sie schwach, als Hans Heinz, seine Augen leuchtend angesichts der so kurz bevorstehenden Befriedigung böser Lüste, ihre Schenkel auseinanderriß und auch noch den letzten Fetzen vor Wenda Brittas Geschlecht zerriß.“
Die Ehe ähnelt sehr dem Krieg
Man mag sich fragen, was eine „schöne Blondine“ mitten im nigerianischen Bürgerkrieg zu suchen hat und sich wundern, daß ihre Schenkel dazu noch auseinandergerissen werden müssen. Aber wenn man weiß, daß ihre Rolle in diesem Buch lediglich darin besteht, von einem der Söldner vergewaltigt zu werden, und weiterhin, daß ihre Vergewaltigung mit Genuß dargestellt werden muß, wird klar, daß hier mehr vor sich geht als dem Schreiber wohl bewußt sein kann – denn wenn es ihm bewußt wäre, hätte er so eine Szene schon nicht mehr schreiben können. Die Frau in dieser Szene ist nämlich gar keine Frau, sondern Objekt einer schmutzigen kleinen Phantasie, die anfängt und aufhört mit der gleichermaßen puerilen Vorstellung davon, was es heißt, sich als Mann zu einer Frau in Beziehung zu setzen.
Okay, ich weiß, hier geht es um Krieg, also sind die Männer furchtbar triebhaft, und die Frauen furchtbar hilflos und überhaupt, solche Dinge passieren nun mal ... Leider ist jedoch das Portrait ehelichen Glücks kaum anders.
„Es war Ronke gewesen, die vor mehreren Jahren als Adamus Kurier gearbeitet hatte, als er seinen Schnitt auf dem Währungsschwarzmarkt gemacht hatte. Sie war es, die ihm im Fall des Spitzenschmuggels als Agentin zugearbeitet hatte. Und Adamu war es, der darauf bestanden hatte, daß sie wieder ins Studium zurückgeht, damit sie ein Ventil für ihre Intelligenz habe, während er sie domestizierte.“ Daß Ronke „intelligent“ genug ist zum Studium, ist eine ebenso böswillige und gehässige Konstruktion wie die „Aufgeklärtheit“ ihres Gatten, der ihre Klugheit sogar zur Kenntnis nimmt, wenn am Ende nämlich ihre „Domestizierung“ – mit oder ohne ihre Zustimmung – so selbstverständlich ist, daß sie uns als ganz und gar fraglose Tatsache vorgeführt werden kann.
Und so weiter und so weiter und so weiter – wobei das hiermit zusammenhängende Problem nicht so sehr ist, daß nicht wenige Schriftstellerinnen diesem Wertesystem, das manchmal auch Tradition genannt wird – selber anhängen, obwohl es ihnen, weiß Gott, nichts zu bieten hat, was ein normaler Mensch sich wünschen kann. Außer vielleicht den Trost, daß man ihnen jedenfalls nie wird vorwerfen können, gegen die hier herrschende Ratio formalisierter menschlicher Beziehungen verstoßen zu haben, gegen die unwandelbare Hierarchie, in der jeder seinen Platz kennt, und General Sani Abacha – ein Gefreiter – ganz oben liegt ...
Nein, das entscheidende Problem ist in diesem Zusammenhang eines der Sprache, oder, genauer gesagt, eines der Beziehung zu der Kultur, aus der diese Sprache stammt.
„Die Frage ist nicht, ob Afrikaner englisch schreiben können, sondern ob sie englisch schreiben sollen. Ist es in Ordnung, daß jemand seine Muttersprache aufgibt für eine andere? Es ist ja doch ein schrecklicher Verrat und läßt ein Gefühl der Schuld entstehen.“
Nein, es ist nicht in Ordnung, daß einer seine Muttersprache für eine andere verrät, aber diese Antwort liegt bereits in der Frage. Wer so fragt, muß sich auch die Frage stellen: Warum sollte denn ein Mann oder eine Frau seine beziehungsweise ihre Muttersprache überhaupt aufgeben wollen? Anders gesagt, wenn Englisch nicht ihre erste Sprache ist, und sie sich für den Gebrauch des Englischen schuldig fühlen, dann wäre es in der Tat pervers, weiterhin auf englisch Romane zu schreiben.
Aber: „Der afrikanische Schriftsteller sollte das Englische so benutzen, daß seine Botschaft gültig erhalten bleibt, ohne daß die Sprache ihren Wert als Medium des internationalen Austauschs verliert. Er sollte sein Englisch so gestalten, daß es sowohl universal ist als auch seine besondere Erfahrung transportieren kann.“
Die Vorstellung, daß man in einer Sprache schreibt, nur weil sie zufällig ein „Medium des internationalen Austausches“, eine „universale“ Sprache ist, ist weniger Grund als Resultat der Verhältnisse. Daß ein so falsches Argument vorgebracht wird, als wäre es ein vernünftiges, weist, wie ich meine, auf eine tiefer sitzende Verunsicherung in der Frage hin, warum und für wen man schreibt. Und dann sitzt man bald wieder in parfümierter Hundescheiße. Es kommt jedoch darauf an, dieses Erbe in all seiner Komplexität zu erfassen und sich von solcher Erfahrung aus auf eine Begegnung damit einzulassen, was es heißt, in der modernen Welt, in dieser Welt, hier und jetzt, Nigerianer zu sein.
Adewale Maya-Pearce, Afrika-Experte von „Index on Censorship“, hielt diese Rede auf der 13. Jahrestagung der nigerianischen Schriftstellervereinigung (26./27. November 1993) in Ilorin, Kwara State.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen