: Das Wechselgeld der Imperien
■ Morgen wird in der Ex-Sowjetrepublik Moldova gewählt
„Erwache, Rumäne!“ – mit diesen Worten beginnt die Nationalhymne der Ex-Sowjetrepublik Moldova. Ihr Präsident Mircea Snegur, selbst Rumäne, bestreitet jedoch, daß es in dem mehrheitlich von Rumänen bewohnten Land solche überhaupt gibt. Auf dem von ihm kürzlich initiierten Kongreß „Unser Haus Republik Moldova“ nannte Snegur alle dort lebende Minderheiten beim Namen – die Rumänen jedoch bezeichnete er als „Moldovaner“.
Was so verwirrend erscheint, war von Snegur als Klarstellung an die Adresse der Wähler gedacht. Denn bei den morgen stattfindenden Parlamentswahlen geht es für ihn in erster Linie um die Bestätitung dessen, was er als „Unabhängigkeitskurs Moldovas“ bezeichnete. Dabei mußten der Präsident und die regierende „Demokratische Agrarpartei“ (PDAM) bislang auf denkbar schwierige Konstellationen Rücksicht nehmen.
Nur zwei Drittel der Bewohner in dem Viereinhalbmillionenland sind Rumänen, ein Drittel dagegen Minderheiten, zumeist Russen und Ukrainer. Doch nicht nur die letzteren hören es mit Argwohn, wenn in Moldova von „Rumänen“ die Rede ist. Auch erstere sehen sich selbst lieber als Moldovaner denn als Rumänen.
Gewachsen ist dieses Bewußtsein im Zuge der wechselnden Staatlichkeit Moldovas. Einst Teil des rumänischen Fürstentums Moldau, stand es in den vergangenen zweihundert Jahren zumeist unter russischer Herrschaft und war das „Wechselgeld“ (Snegur) zwischen Rumänien und dem Imperium im Norden. Als Moldova nach dem Moskauer Putsch im August 1991 seine Unabhängigkeit ausrief, propagierte Rumänien zunächst eine Wiedervereinigung mit dem von Stalin 1940 annektierten Territorium und revidierte seine Rhetorik später zugunsten der „langfristigen Reintegration der beiden rumänischen Staaten“.
Ebenso wenig hat Rußland seinen Ansprüchen auf Moldova entsagt: In Transnistrien verhalf es einem Regime zur Macht, in dem Kommunisten und großrussische Nationalisten herrschen. Sie stürzten Moldova mit Hilfe der dortigen 14. Russischen Armee in einen Bürgerkrieg, der zum wirtschaftlichen Ruin und zur praktischen Spaltung des Landes geführt hat. Ganz im Zeichen der Moskauer Machtpolitik stand denn auch der moldovanische Wahlkampf.
Moskau kann sicher sein, daß Snegur, um an der Macht zu bleiben und die formale Unabhängigkeit zu wahren, ihren Interessen zu entsprechen bereit ist. Er und andere Regierungs- und PDAM- Funktionäre waren vor 1989 hochrangige KP-Mitglieder in Moldova. Sie kontrollieren clanartig Politik und Wirtschaft des Agrarlandes, haben spürbare Wirtschaftsreformen bislang aufgeschoben und würden von einer wie auch immer gearteten „Rumänisierung“ des Landes kaum profitieren. Daß die PDAM in Prognosen mit 32 Prozent auf den nöchsten Stimmenanteil kommt, zeugt von ihrem fast uneingeschränkten Einfluß.
Im Gegensatz dazu schneiden die Anhänger einer Vereinigung mit Rumänien in den Umfragen am schlechtesten ab. Auf höchstens sieben Prozent kommt die „Christlich-Demokratische Volksfront“, alle anderen prorumänischen Parteien bleiben unter der Vierprozenthürde. Denn unter den Rumänen Moldovas ist nicht nur das Bewußtsein lebendig, daß sich die „Brüder“ im Südosten 1918 bei der Vereinigung Großrumäniens gegenüber den Moldovanern als Kolonialherren erwiesen. Rumäniens Wirtschaft befindet sich – für sie sichtbar – heute kaum in besserem Zustand als die moldovanische, und schließlich ist vielen Moldovanern auch aufgegangen, daß sie in der rumänischen Gesellschaft – trotz aller politischen Vereinigungsrhetorik – als „die Russen“ gelten.
Größter Herausforderer der PDAM und anderer Parteien, deren Hauptprogrammpunkt die Unabhängigkeit des Landes darstellt, ist mit prognostizierten 17 Prozent der „Block Sozialistische Partei und Bewegung ,Einheit‘“. Die prorussische Gruppierung hegt Sympathien für das Regime in Transnistrien, fordert eine Gleichstellung der russischen mit der rumänischen Staatssprache, einen GUS-Beitritt Moldovas, Doppelstaatsbürgerschaft und spricht sich gegen die „sogenannte demokratische Marktwirtschaft“ aus.
Das „beschauliche Ländchen“ von einst ist somit längst nicht mehr der Platz, an dem es sich in der Sowjetunion am gemütlichsten leben ließ, wie sich Moldovaner gerne erinnern. Der „Block“ könnte für alle Russen und Ukrainer, die die Unabhängigkeit des Landes als Ursache der jetzigen Misere sehen, eine Option sein. Damit wäre der Weg frei für eine neue außenpolitische Konfrontation zwischen Rußland und Rumänien. Keno Verseck
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