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Der Chef kochte selbst

■ Umfall, Scheinangebot, Wende? Die Hintergründe von Voscheraus Coup

SPD-Fraktionschef Günther Elste, Vormann der SPD-Abrißbirnen-Lobby, mochte Freitag seinen Augen nicht trauen, als er per Zeitung vom Hafenstraßenangebot Voscheraus erfuhr. Der Adrenalinspiegel stieg blitzartig, kalte Wut kroch hoch. Er, der bislang Seite an Seite mit dem Stadtchef gegen die Aufrührer vom Hafenrand gefochten hatte, wurde vom Bürgermeister schmählich im Stich gelassen.

Zwar hatte Voscherau Elste tags zuvor in einem Vier-Augen-Gespräch erläutert, wie er sich eine Hafenstraßenlösung vorstellen könnte, aber mit keinem Wort erwähnt, daß sein Text längst ins Satzsystem des Abendblattes eingespeist war und somit schon am nächsten Morgen öffentlich sein würde. Elste hatte widersprochen, auf seiner Sicht der Dinge bestanden: Räumung und damit basta.

Echte Überraschung auch für einen Großteil des Senats. Lediglich der Koalitionspartner und Voscheraus wichtigste Mitstreiter waren vorab im Film. Die Rückkehr zu rechtsstaatlichem Denken (Verhältnismäßigkeit der Mittel) und politischem Handeln (Schaden von der Stadt abwenden) hat Voscherau in enger Abstimmung mit Innensenator Werner Hackmann und Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow entwickelt. Hackmann hatte unmißverständlich klargemacht, daß er überhaupt keine Lust habe, seinen unbequemen und bislang dennoch relativ erfolgreichen Job mit dem Manko einer Räumung zu belasten, deren Verlauf unkalkulierbar sei.

Voscherau hatte zudem in einer Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der Oberen Zehntausend erfahren müssen, daß die Hafenstraße längst nicht mehr als bösartiges Symbol gesehen wird und kaum einer Lust hatte, die neugewonnene internationale Reputation der Stadt durch Barrikaden und Straßenschlachten aufs Spiel gesetzt zu sehen. Das Eis schließlich hatten die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen gebrochen. Voscherau stellte fest, daß er als Hardliner der Marke „ein Mann, ein Wort“ plötzlich ganz alleine stehen, ja sogar den Bürgermeisterjob und die Chance auf ein Bonner Ministeramt verlieren könnte, wollte er einen auf Hafenrand-Rambo machen.

Die Entscheidung der Bundesrichter für die Räumung setzte Voscherau unter Entscheidungszwang. Entzückt juchzte ein Großteil seines engeren politischen Umfelds auf, als Henning diesmal ausnahmsweise nicht die übliche Rolle des Mr.Tricky spielte, sondern wie ein echter Staatsmann im stillen Kämmerlein und per eigenhändig getippter Erklärung eine echte und riskante Entscheidung traf. „Er ist gesprungen!“ jubiliert es im Bürgermeisterflügel des Rathauses.

Florian Marten

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