Freistaat unterliegt

■ Schmerzensgeld für Kesselhaft

Berlin (taz) – Bayern muß für die Einkesselung friedlicher Demonstranten während des Wirtschaftsgipfels am 6. Juli 1992 in München Schadenersatz zahlen. Das Münchner Landgericht billigte gestern 114 DemonstrantInnen ein Schmerzensgeld von jeweils 150 Mark zu. Das macht 17.100 Mark. Bei dem Polizeieinsatz waren rund 500 Menschen zuerst über Stunden eingekesselt und dann in „Gewahrsam“ genommen worden. Die Demonstranten hatten mit Pfeifen und Johlen die Auftaktveranstaltung des Gipfeltreffens gestört.

Die vollkommen überzogene Polizeiaktion war im Anschluß von Kanzler Helmut Kohl, dem CSU- Chef Theo Waigel und dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl ausdrücklich begrüßt worden. Streibl hatte erklärt, „hartes Hinlangen“ sei eben bayerische Art. Waigel assistierte: „Wer kommt, um Gäste anzupöbeln, der kann von meiner Seite keine Sympathie verlangen.“ Kohl segnete den Kessel schließlich mit den Worten ab, die hart arbeitende Polizei könne mit seiner „ganzen Sympathie“ rechnen.

Der Vorsitzende Richter Eberhard Heiss sah das gestern anders: Der Kessel habe nicht nur das Versammlungsrecht, sondern auch die Menschenwürde der Demonstranten und deren Grundrechte verletzt. Das Johlen und Pfeifen bei der friedlich verlaufenen Kundgebung sei kein unzulässiges Mittel der Meinungsäußerung gewesen, der Lärm sei nicht einmal so laut gewesen, „daß etwa die eingesetzten Trachtenkapellen nicht mehr zu hören waren“. Darüber hinaus seien die Sprechchöre weder beleidigend noch ehrverletzend gewesen. Es habe auch keine Gefahr für die Gäste des Gipfels bestanden. Bayerns Innenminister Beckstein will nun prüfen lassen, ob der Freistaat Berufung einlegt. Grund: Wer eine Versammlung stören wolle, könne sich „nicht allen Ernstes“ auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. wg