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SanssouciVorschlag

■ "Indiana Jones" als Doppelwhopper im Schlüter

Was ist eigentlich aus den Doppelprogrammen der Kinos geworden? Eine künftige Sozialgeschichte der Berliner Filmtheater wäre unvollständig ohne dieses Phänomen: Am liebsten nachts und meist an Wochenenden trifft sich ein buntgemischter Haufen, um in schummrigen Sälen vor flackernden Leinwänden der Nacht den Garaus zu machen. Der cineastischen Assoziationskraft des Programmgestalters sind keine Grenzen gesetzt. Vom filmhistorischen Miniseminar bis zur Horrororgie: anything goes, was irgendeinen losen Zusammenhang hat. Einzige Voraussetzung: Zwei Fime sind Minimum auf der nach oben offenen Skala. Meist waren die Nachtprogramme fröhliche Feste der Trivialität und des höheren Blödsinns. Ewige Favoriten: „Star Trek“, Teile 1 bis 6. Oder „Der Sinn des Lebens“ plus „Das Leben des Brian“. Mein ultimatives Multiprogramm-Erlebnis hatte ich 1988 mit neun Stunden „Superman“, alle vier Teile. Danach konnte man dann gleich frühstücken gehen. Zarte Bande ließen sich festigen. Oder Liebeskummer wirkungsvoll anästhesieren.

Vorbei, vorbei. Wenn ich heute im Wochenendprogramm blättere, überkommt mich bohrende Ratlosigkeit. Warum gibt es kaum mehr lange Filmnächte? Tanzen die Leute nur noch Tekkno? Sind die Kopien der Kultfilme endgültig im Eimer – zerkratzt und verbrutzelt? Oder liegt es an den Kinobesitzern, die jetzt gern für jeden Film einzeln kassieren? Im „Schlüter“ zum Beispiel, der Zentralstelle für Kino-Nostalgie, werde ich heute einen Helden meiner ewigen Spätpubertät feiern können: Indiana Jones. Früher, als alles besser war, hätte man die komplette Spielberg-Trilogie auf einen Rutsch zur Kultstunde Mitternacht gezeigt. Im „Schlüter“ beginnt „Der Tempel des Todes“ um achtzehn Uhr, „Der letzte Kreuzzug“ erst fünf Stunden später. Der erste Teil fehlt ganz, dafür gibt's zwischendrin „Der Himmel über Berlin“ – als ob mich gerade Wim Wenders und all diese Engel irgendwie interessieren würden! Man kann sich denken, was passieren wird: Das Publikum wechselt mit jeder Vorstellung – wie soll da die nötige Andacht aufkommen?

Indy lohnt es mir dennoch. Andere mögen die Nase rümpfen (der sonst sehr geschätzte Kritiker Karsten Witte spricht abschätzig von „Trommelfeuerschocks auf Augen und Ohren“) – für mich bedeutet Doc Jones Kino pur. Wo Artistik und Trivialität so brachial aufeinanderprallen, kann Kunst nicht fern sein. Vor allem der opernhafte dritte Teil hat es mir angetan: Wie der Schuft Donovan auf Jones Senior schießt, und Indy bleibt, will er den Vater retten, keine andere Möglichkeit, als den Nazis den Gral zu holen – das hat doch klassisches Format. Und daß dann der schlichte „Kelch eines Zimmermanns“ den gesuchten Super- McGuffin bildet – biblisch, einfach biblisch. So gegen halb zwei wird Indiana Jones im „Schlüter“ den Gral gefunden haben. Möge er ewig leben! Steffen Jacobs

Heute abend um 18 Uhr „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, um 23 Uhr „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ im Schlüter, Schlüterstraße 17, Charlottenburg.

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