: Milan im Stile Wattenscheids
■ Champions League: AC Mailand - Werder Bremen 2 : 1 / Durch einen Patzer von Libero Neubarth verliert Werder Boden im Kampf um den Halbfinaleinzug
Berlin (taz) – Vor ziemlich genau fünf Jahren räumte der AC Mailand im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister den deutschen Titelträger Werder Bremen mit gewaltiger Mühe durch ein fragwürdiges Elfmetertor des Niederländers van Basten aus dem Weg, um danach in glanzvoller Manier mit Triumphen über Real Madrid und Steaua Bukarest den Cup zu gewinnen. Während sich Bremen seither in Spielweise und personeller Besetzung relativ treu geblieben ist, hat sich bei Milan einiges verändert. „Heute sind wir erfahrener und uns viel mehr unserer Stärke bewußt“, sagt Verteidiger Mauro Tassotti, einer der Übriggebliebenen von 1989. „Wir haben das Bewußtsein, daß wir Milan sind und man uns in der ganzen Welt kennt“, ergänzt Paolo Maldini, „die Gegner betreten das Spielfeld mit einer gewissen Ehrfurcht.“
Doch der gewaltige Ruf des AC Mailand ist nur eine Seite der Medaille, die andere ist der gravierende Verlust an Spielkultur, Phantasie und Offensivkraft. Der frühere Coach Arrigo Sacchi, inzwischen Italiens Nationaltrainer, ist ein selbstbewußter Vertreter des kreativen Fußballs, der das Spektakel und das Toreschießen liebt, auch wenn dabei manchmal die Abwehr entblößt wird. Sein Nachfolger Fabio Capello ist ein seelenloser Bürokrat, ein Befehlsempfänger von Berlusconis Gnaden, dem ein starkes Abwehrbollwerk über alles geht und der sein Starensemble wie ein mit genauen Dienstvorschriften ausgestattetes Bahnwärterkollektiv behandelt. Der AC Mailand von 1994 spielt das System von Wattenscheid 09, nur mit lauter Weltklassespielern.
Gegen Werder Bremen war dies vor nur 41.239 Zuschauern in San Siro nicht anders. Wo einst die Abwehrspieler Tassotti, Maldini und Baresi jede Gelegenheit nutzten, sich in den Angriff einzuschalten, wartet heute oft eine Siebener- oder Achterkette vor dem eigenen Strafraum auf den Gegner. Stürmer Jean-Pierre Papin mußte wegen angeblicher Formschwäche auf die Tribüne, dafür wurde der Mittelfeldspieler Dejan Savicević als zweite Spitze hinter Daniele Massaro nominiert. Savicević, neben Roberto Baggio mutmaßlich Europas bester Fußballer, hatte lange gebraucht, sich in Mailand durchzusetzen. „Jetzt spielt er, wie ich es will“, sagt Capello. Gegen Bremen war der Serbe dennoch der auffälligste Spieler auf dem Platz.
Mit seiner Defensivtaktik hat Tabellenführer Milan in der Meisterschaft zwar fast nur halb so viele Tore geschossen wie Ruud Gullits Sampdoria Genua, aber dafür gesorgt, daß selbst ein so mittelmäßiger Torwart wie Rossi kaum Treffer kassiert. Die Taktik ging auch gegen Werder Bremen auf, wenn auch hauptsächlich wegen eines krassen Fehlers von Ersatz-Libero Frank Neubarth, der in der 68. Minute gröblich über den Ball säbelte und Savicević den 2:1-Siegtreffer ermöglichte. Zuvor hatte Maldini bei einem seiner wenigen Vorstöße in der 48. Minute einen Freistoß von Donadoni unbedrängt ins Bremer Tor köpfen dürfen, dann hatten die Mailänder Mario Basler in der 55. Minute ausnahmsweise gestattet, aufs Tor zu schießen. Rossi ließ den Ball durch die Arme flutschen.
Der Rest war ein meist unansehnliches Mittelfeldgeplänkel, bei dem auf Bremer Seite von Ehrfurcht wenig zu spüren war. Die beste Werder-Chance vor der Pause hatte der gut spielende Basler, der eine Herzog-Flanke knapp verpaßte. Dafür schoß Savicević (13.) knapp am Tor vorbei, und Eranio (43.) drosch den Ball nach einem der wenigen guten Milan- Spielzüge weit über das Tor.
„Zwei schwere Fehler sind hart bestraft worden“, haderte Werder- Trainer Otto Rehhagel enttäuscht. „Wir haben riesigen Aufwand betrieben und trotzdem nichts erreicht.“ Zumal in der Champions League nichts mehr auszubügeln ist. „Die Spiele scheinen weniger schwierig“, meint Tassotti. „Es gibt nicht mehr das Pathos der Rückspiele.“ Wenn die beiden Teams in zwei Wochen in Bremen wieder aufeinandertreffen, geht es lediglich um zwei weitere Punkte, die Werder allerdings dringend braucht, um doch noch ins Halbfinale einziehen zu können. Matti
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