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Total normal in der Klinik

■ Das „Wecken um 6 Uhr“ im Krankenhaus wird abgeschafft

„Um 5 Uhr 45 begann die Übergabe, um 6 Uhr 15 hat die Frühschicht dann alle geweckt und Puls und Temperatur gemessen“, so war es selbstverständlich auf seiner Station, der „Inneren“, noch vor zwei Jahren, erinnert sich Peter Erlanson, heute Personalrat im Krankenhaus „Links der Weser“. Das war, Tag für Tag, „unsere erste Tat.“ Und dann hat man sich gefragt, ob das sein muß. Fachkundige Antwort der Ärzte: „Mann kann den Blutdruck auch um acht Uhr messen.“

Arbeitszeit „Total normal“ heißt die Reform, die an einer Klinik in Hoechst begonnen hat und seitdem in Bremen, zuerst 1991 im Zentralkrankenhaus Ost, schrittweise den Klinik-Alltag verändert. Anstatt der Frühschicht, die gegen 6 Uhr beginnt, soll die Hauptarbeit in eine normale Dienstzeit zwischen 7.30 Uhr und 16 Uhr konzentriert werden.

Die Reform liegt ganz eindeutig im Interesse der PatientInnen, weil dadurch das unnötige frühe Wecken wegfällt. Die Reform liegt aber auch im Interesse des Pflegepersonals, das die Chance eines normalen Arbeitstages bekommt. Deshalb ist das Pflegepersonal jetzt auch die treibende Kraft bei der Einführung.

In Bremen-Ost begann die Reform 1991 auf der neurologischen Station und bei der Unfallchirurgie. Brigitte Werner, stellvertretende Plegedienst-Leiterin, verbindet sich der „Normal-Arbeitstag“ mit einer anderen Reform: „Patientenorientierte Bereichspflege“ soll an die Stelle der „Funktionspflege“ treten. Zu deutsch: Ein Patient soll in einer Schicht weitgehend von derselben Pflegekraft betreut werden. Unnötige Spezialisierung der Pfegekräfte wird dabei abgebaut, das fördert auch deren Arbeitszufriedenheit.

Insgesamt erfordert das neue Modell aber eine Neuorganisation der Arbeitsabläufe – fünf Jahre könnten schon noch ins Land gehen, bevor die Klinik völlig auf „total normal“ umgestellt ist, schätzt Brigitte Werner.

Im St.-Jürgen hat die Direktion es jeder Station anheim gestellt, das alte Schichtmodell oder die Normalarbeitszeit zu wählen. Denn, so Pflegedienst-Chefin Mehnert, vielfach „wollen“ die Mitarbeiterinnen den Schichtdienst: Um halb Sechs steht man weniger lang im Stau und um 14 Uhr kann frau sich um Kinder und Küche kümmern... Hinzu kommt, so Personalrat Hollnagel, daß es nicht so leicht ist, jahrzehntelange Gewohnheiten umzustellen: Die Abteilung, die die Blutproben untersucht, ist es gewohnt, daß alle Proben um 8 Uhr „da“ sind, die ÄrztInnen sind es gewohnt, daß pfegebedürftige PatientInnen auch zur unangemeldeten Visite gewaschen sind, im OP war man gewohnt, überraschend einen Patienten „dazwischenschieben“ zu können, weil alle sowieso stundenlang warteten... Das neue Modell hat etwas von „just in time“, die organisatorischen Probleme sind also komplex. Aber große Konflikte gibt es um das Thema eigentlich noch nicht, bestätigen die Personalräte.

Der Grund dafür dürfte sein, daß die PatientInnen, die das größte Interesse an der Reform haben müssen, keine organisierte Lobby in der Sache sind. K.W.

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