: Auch ein längst verwester Gaul ist noch für ein paar Mark gut Von Ralf Sotscheck
Je schneller ein Pferd, desto mehr Leute wollen an ihm etwas verdienen. Der irische Wunderhengst Shergar gehörte zu den Besten seiner Branche und brachte seinem Besitzer, dem Aga Khan, einen Haufen Geld ein. Der Aga Khan verwandelte das Pferd schließlich in eine Aktiengesellschaft, so daß viele Anteilseigner mit dem Unternehmen eine schnelle Mark machen konnten. Aber dann wollte auch die IRA mitverdienen und entführte Shergar. Das ging jedoch gründlich schief: Aus irgendeinem Grund erschoß die IRA das Tier. Vielleicht war es Shergar zum Verhängnis geworden, daß Pferde als Symbol der anglo-irischen Oberschicht galten. Der trunksüchtige Schriftsteller Brendan Behan, der in seiner Jugend in der IRA war, hatte die Mitglieder dieser Oberschicht verächtlich als „Protestanten zu Pferd“ bezeichnet.
Das ist inzwischen elf Jahre her. Bis heute hat sich die Norwich Union jedoch geweigert, die Versicherungssumme herauszurücken. Wer kann ihr denn garantieren, daß Shergar nicht mit blond gefärbter Mähne und Sonnenbrille im Belfaster Untergrund lebt? Vor kurzem beschloß deshalb einer der Aktionäre, Stan Cosgrove, gegen die Versicherungsgesellschaft zu klagen. Er verlangt 600.000 Pfund (etwa 1,5 Millionen Mark) für seinen Anteil an dem Tier. Kaum hatte er die Klage eingereicht, da erhielt er einen mysteriösen Anruf von einer Frau, die sich Marli nannte. Sie bot ihm Shergars Knochen an – für umgerechnet 100.000 Mark. Selbst ein längst verwestes Rennpferd ist offenbar noch für ein paar Mark gut. Mit Hilfe einer gentechnischen Untersuchung könnte Cosgrove nachweisen, daß es sich bei den Knochen tatsächlich um Shergars Überreste handelt, meinte Marli. Sie sei nur die Vermittlerin, behauptete sie, hängte bei jedem Gespräch jedoch vorsichtshalber nach sechzig Sekunden ein, damit man den Telefonanschluß nicht ermitteln konnte. Cosgrove willigte ein, die verlangte Summe nach erfolgreicher Shergar-Identifizierung an nordirische Wohltätigkeitsorganisationen zu überweisen, doch damit war Marli nicht einverstanden. Sie verlangte das Geld bar und in gebrauchten Scheinen. Der Hengst-Anteilseigner wandte ein, daß die Versicherung das Geld womöglich auch dann nicht zahlen würde, wenn er einwandfrei beweisen könnte, daß Shergar tot sei: Schließlich könnte die Norwich Union behaupten, daß der Schadensfall – in diesem Fall der Todesschuß – erst nach Ablauf der Versicherung eingetreten sei. Marli hat seit ein paar Wochen nichts mehr von sich hören lassen.
Wahrscheinlich wäre Cosgrove besser beraten, sein Glück am Wettschalter zu versuchen, als darauf zu hoffen, daß die Versicherung das Geld doch noch herausrückt. Der Dubliner Buchmacher Paddy Power bietet zur Zeit eine besonders günstige Quote an – 100.000 zu eins, daß Glasgow Rangers demnächst den Papst als Spieler verpflichtet. Die Plakate mit dem Wettangebot mußten am Wochenende aus der Umgebung katholischer Kirchen entfernt werden – wohl um die Kirchgänger nicht in Versuchung zu führen, das für die Kollekte bestimmte Geld zum Buchmacher zu tragen. Verschärfend kommt hinzu, daß die Rangers ein durch und durch protestantischer Verein sind. Wie mögen die Quoten für Shergars Wiederauferstehung sein?
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