piwik no script img

Das Kind muß in den Brunnen fallen

■ Streit um Elektrosmog geht weiter / Erst im Schadensfall wird gehandelt / Weiter Weg vom Phänomen zum Risiko

„Der Bundesgesundheitsminister warnt: Telefonieren gefährdet ihre Gesundheit.“ Ein solcher Aufdruck auf Mobilfunkgeräten und Funktelefonen würde wohl eine der wenigen Wachstumsbranchen der bundesdeutschen Wirtschaft an den Rand des Ruins treiben. Die handlichen Geräte mit dem dezenten Piepston steigern das Ansehen ihrer Träger ungemein. Der Markt boomt, insbesondere die Mobiltelefonnetze D1 und D2 weisen steigende Teilnehmerzahlen auf. Daß die elektromagnetische Strahlung, die von den kleinen Prestigeobjekten ausgeht, zwar keinen Einfluß auf das Image, wohl aber möglicherweise auf das Gehirn ihrer Benutzer haben kann, legen neue wissenschaftliche Studien nahe. Die Diskussion um nachteilige biologische Auswirkungen des sogenannten Elektrosmogs wird lauter und heftiger.

Während in Japan die Arbeiten an einem Magnetbahnprojekt wegen der möglichen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung zunächst gestoppt wurden, setzt das Bundeskabinett mit seiner Entscheidung für eine Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin auf eben dieses umstrittene Konzept. Verkehrsleitsysteme und Modelle zur elektronischen Erhebung von Autobahngebühren, Abstandsmelder und Diebstahlsicherungen für Autos: sie alle bauen auf den Einsatz elektromagnetischer Wellen. Hochspannungsleitungen überziehen ein Prozent der Bundesrepublik. „Seit der Erfindung der Glühbirne“, so Michael Karus vom Kölner Katalyse-Institut auf einer Fachtagung der Stiftung Warentest in Berlin, „betreiben wir ein großes Experiment, wie solche Felder wohl auf den Menschen wirken mögen.“

Noch aber können Biologen und Mediziner nur die Effekte elektromagnetischer Strahlung präsentieren. Art und Ausmaß biologischer Einflüsse – das erschwert die bisherige Diskussion ebenso wie die Forschung – sind dabei ganz extrem von der Natur und Intensität der Strahlenquelle abhängig. Eindeutig nachzuweisen sind die sogenannten thermischen Effekte, eine Erwärmung des Gewebes unter dem Einfluß hochenergetischer Strahlung. Athermische Phänomene wie Einflüsse auf Enzymaktivitäten, die Synthese von Erbsubstanz oder die Veränderung von Hirnströmen werden vermutet, ein endgültiger Beweis jedoch bleibt bisher aus. Auch epidemiologische Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen den Magnetfeldern von Hochspannungsleitungen und einem gesteigerten Leukämierisiko bei Kindern verweisen, werden kontrovers diskutiert. Niederfrequente elektromagnetische Felder stehen schon länger im Verdacht, Krebs hervorzurufen. Der Mechanismus, die Schnittstelle zwischen Strahlenquelle und Organismus, ist jedoch noch völlig unbekannt. Der konkrete Beweis gesundheitlicher Risiken fehlt, die Verdachtsmomente aber häufen sich. Wilhelm Krahn-Zembol, Spezialist für Umweltrecht, kennzeichnet diese Grauzone: „Wir nehmen das Risiko in Kauf, und erst wenn Wirkungen auftreten, denken wir über Gefahren nach.“

Der Verlauf der Diskussion ist typisch für den Umgang mit Risiken technologischer Entwicklung. Die in den Normenkatalogen der Industrie festgeschriebenen Grenzwerte orientieren sich an den nachweisbaren Effekten. Hinweise auf weitere Risiken bleiben weitgehend unberücksichtigt. Professor Jürgen Bernhard vom Institut für Strahlenhygiene in Neuherberg hält die Regelungen dennoch für völlig ausreichend. „Ich gehe davon aus, daß wir in fünf oder zehn Jahren das Wort Elektrosmog gar nicht mehr verwenden werden.“ Der Verband deutscher Elektrotechniker (VDE) kritisiert den Begriff gar als „irreführend“.

In einer Pressemitteilung ruft der VDE zu mehr Sachlichkeit in der Debatte auf. Sachlichkeit aber bedeutet im Sprachgebrauch der Industrie zumeist, daß ein Risiko so lange nicht vorhanden ist, bis der erste nachweisbare Schaden auftritt. Eben dieser Nachweis ist nur schwer zu erbringen. Die Vielzahl möglicher Ursachen und Effekte läßt epidemiologische Studien wenig aussagefähig erscheinen. Neuere Ansätze, die Mechanismen auf zellulärer oder molekularer Ebene zu klären, bergen ebenso Probleme. Die Ergebnisse lassen sich nur bedingt auf ganze Organismen übertragen. Bisher wurde vor allem der Einfluß elektromagnetischer Strahlung auf elektronische Geräte untersucht. Solche Effekte nämlich sind sehr viel leichter zugänglich und erklärbar als Wechselwirkungen mit dem komplexen Regelungsgefüge lebender Organismen.

Professor Wolfram Fischer, Sozialwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, wertete die Auseinandersetzung zum Abschluß der Fachtagung in Berlin als „Scheinproblem“. „Wenn es katastrophale Folgen gäbe, hätten wir das doch längst gemerkt.“ Solche Argumente tragen wohl kaum zu einer Versachlichung der Debatte bei. Andreas Sentker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen