Abschiebungen an die Kriegsfront

■ Mehr als hunderttausend Flüchtlinge aus Serbien und dem Kosovo sollen zurück

Bonn/Berlin (dpa/AFP/taz) – Nach den Flüchtlingen aus Kroatien droht nun auch mehr als hunderttausend Schutzsuchenden aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo die Abschiebung. Das Bundesinnenministerium bestätigte eine entsprechende Meldung des Spiegel, wonach die Flüchtlinge in den nächsten Wochen über Rumänien ausgeflogen werden sollen.

Wie groß die Zahl der betroffenen Flüchtlinge ist, läßt sich nur schätzen. Allein im vergangenen Jahr hatten jedoch mehr als 70.000 Menschen aus Restjugoslawien einen Asylantrag in Deutschland gestellt, meist ohne Erfolg. Mehrere zehntausend andere leben hier aufgrund von ausländerrechtlichen Duldungen. Einen Abschiebestopp gab es für die Flüchtlinge aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo auch bisher nicht. Vereinzelt haben die Ausländerbehörden auch in der Vergangenheit Flüchtlinge in diese Region abgeschoben. Massenabschiebungen scheiterten jedoch an den gekappten Flugverbindungen nach Serbien.

Nun aber hat man in der rumänischen Regierung einen Erfüllungsgehilfen gefunden. Rumänien, so das Bundesinnenministerium, habe sich zur vorübergehenden Aufnahme der Abgeschobenen bereit erklärt, um sie dann vom Flughafen in Temesvar per Bus nach Serbien weiter zu transportieren. Spekulationen über mögliche Gegenleistungen an die rumänische Regierung wies das Ministerium zurück.

Besonders bedrohlich ist die bevorstehende Abschiebung für zwei Gruppen: Für junge Männer, die sich durch Flucht dem Kriegsdienst entzogen haben, und für albanische Flüchtlinge aus der serbischen Provinz Kosovo. Beide Gruppen haben bisher keine Chance auf Asyl in Deutschland. Obwohl bekannt ist, daß serbische Deserteure mit Haftstrafen und einer sofortigen Entsendung an die Front rechnen müssen, lehnt das Asylbundesamt unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht deren Asylbegehren ab. Standardbegründung: „Es ist davon auszugehen, daß eine eventuelle Bestrafung allein aus Gründen der Aufrechterhaltung militärischer Disziplin und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und somit im Zuge der allgemeinen bewaffneten Auseinandersetzungen erfolgen würde, eine asylrechtliche Erheblichkeit mithin ausscheidet.“

Bisher vergeblich hat das Europäische Parlament seine Mitgliedsstaaten aufgefordert, „durch eine Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern die militärische Macht der Aggressoren im früheren Jugoslawien zu schwächen“. Auch entsprechende Voten des Hohen Flüchtlingskommissariats blieben ohne Echo.

Was die Abschiebungen in den Kosovo betrifft, so handelt Bonn deutlich wider besseres Wissen. Lageberichte des Auswärtigen Amtes berichten von „zahlreichen willkürlichen Übergriffen“, „körperlichen Mißhandlungen“ und „Folter“ gegenüber der albanischen Bevölkerung im Kosovo. Auch das Innenministerium selbst gesteht eine „bedrängte Lage“ für Kosovo-Albaner und Muslime ein, „welche auch von Repressalien und Diskriminierungen gekennzeichnet ist“. Einen Antrag NRWs auf einen Abschiebestopp für Kosovo-Albaner wiesen jedoch sowohl Bundesinnenminister Kanther als auch die anderen Länderinnenminister im letzten Herbst ab. – Doppelter Zynismus: Die geplanten Abschiebungen erfolgen in einen Staat, den führende Unionspolitiker am Wochenende als einen Staat von „Verbrechern“ charakterisiert haben. Allerdings kam ihnen diese Erkenntnis nicht angesichts des Schicksals der Flüchtlinge, sondern angesichts der prekären bundesdeutschen Haushaltslage: „Was die Serben betrifft“, begründete Finanzminister Waigel die Ablehnung jeglicher Wiederaufbauhilfe für das ehemalige Jugoslawien, „so können Verbrecher, die diesen Krieg begonnen haben, mit keinerlei deutscher Unterstützung rechnen“. Auch hohe Bonner Summen für Bosnien und Kroatien wies Waigel zurück. Und für CSU-Landesgruppenchef Michael Glos steht fest: keinen Pfennig für die „serbischen Aggressoren“. Doch wohin man kein Pfennig fließen lassen darf, darf man hunderttausend Flüchtlinge schicken. Die kosten nämlich – deutsche Mark. Ve