: Ihr grünes Büchlein veränderte Italien
Mit dem 58seitigen „Manifest der weiblichen Revolution“ legte die Kunsthistorikerin Carla Lonzi im Jahre 1970 den Grundstein für die italienische Frauenbewegung ■ Aus Rom Paola Tavella
Sie war eine typische Intellektuelle der 60er Jahre, tätig in einem jener Bereiche, in denen sich weibliche Sensibilität zuerst ausbreitete, der Kunst. Doch sie fühlte sich weniger als Künstlerin denn als Kunstkritikerin. In der Auseinandersetzung mit dieser Tätigkeit wurde sie zu der bestimmenden Figur des italienischen Feminismus: Carla Lonzi. Von ihr stammt das „Manifest der weiblichen Revolution“, das die gesamte Bewegung auslöste. 1931 in Florenz geboren, das erste von vier Kindern, fühlte sie schon früh bei ihrer Mutter „eine Verschiedenheit von den anderen Müttern“, die sie selbst zu „diesem enormen Bedürfnis nach Freiheit“ anregte, und „das war meine Rettung“. Sie promovierte in Geschichte moderner Kunst und wurde zur „Hebamme“ vieler Künstler der 60er Jahre.
In ihrem Buch „Autoritratto“ (Selbstbildnis) montierte sie Ausschnitte aus Gesprächen mit vierzehn der besten Malerinnen und Bildhauerinnen jener Tage, darunter Consagra (der lange Jahre ihr Lebensgefährte war), Fontana, Turcato, Accardi, Scarpitta, Twombly. Ein eigenartiges Werk – es wurde nie in eine andere Sprache übersetzt und wird doch in vielen ausländischen Kunstgeschichten als absolut innovative Arbeit der Kunstkritik gerühmt. Aus diesen Jahren stammt eine Collage von Pasolini, die eine Menschenmenge zeigt, in der der Zöllner Rousseaus und Fontana erscheinen – und Carla Lonzi, lachend, mit ihren glatten Haaren: „Überaus schön, innen wie außen. Nicht die Schönheit, die man heute so hat“, beschreibt sie die Verlegerin Laura Lopetit, mit der Carla eine enge, oft lärmende Beziehung hatte. Carla Lonzi gab ihren Beruf auf, als ihr klarwurde, daß „man von mir verlangte, mich mit dem idealen Betrachter zu identifizieren“ Sie wollte sich der „Macht des Kritikers“ entgegenstellen, „insofern dieser die Kunst und die Künstler unterdrückt und zu einem Ideologen der Kunst wird“. „Wir haben 4.000 Jahre hingeschaut. Nun haben wir es gesehen!“ beginnt das „Manifest der weiblichen Revolution“ und endet: „Wir sprechen nur mit Frauen.“ Als Autorinnen zeichneten, neben Carla Lonzi, Elvira Banotti und Cara Accardi.
Es war das Jahr 1970, die Sechzigerrevolte war vorbei – aber die Frauen hatten noch immer nicht erkannt, wie unterdrückt sie waren: Sie arbeiteten weiterhin als Helferinnen der Männer, die im Namen des Marxismus Revolution machen wollten, und die Frauen hatten noch immer nicht gelernt, sich „in radikale Asymmetrie zu diesen“ zu setzen. „Ein Mann kann ideologisch durchaus Pazifist sein, egalitär ausgerichtet, Antimilitarist, antiautoritär, feminismusfreundlich – doch die Frau erkennt während des sexuellen Vollzugs, daß er sich trotz alledem durch seine Männlichkeit wie mit einer Naturkraft ausgestattet wähnt und daß auch seine Opposition zur herrschenden Kultur eben doch spätestens bei der aggressiven, chauvihaften, autoritären Rolle seines Penis halt macht.“ Das „Manifest“ war ein grünes Büchlein mit 58 Seiten. „Rivolta femminile“ lehrte Selbsterfahrung als Methode, als Praxis weiblicher Politik. Die eigene Geschichte zu erzählen, der der anderen zuzuhören: Die Frauen begannen, ihre Schwäche in Stärke umzukehren.
Zuerst war es nur eine Gruppe von Frauen, die sich abspalteten, und sich über Liebes- und Sexverhalten befragten. „Für wessen Lust bin ich schwanger geworden? Und für wessen Lust treibe ich ab?“ (Rivolta femminile“, 1971). Ihr Tagebuch – voll mit Gesprächen, Telefonaten, Unterhaltungen – veröffentlichte Carla Lonzi auf über 1.000 Seiten („Taci, anzi parla. Diario di una femminista“), Laura Lepetit erzählt: „Sie war damals gerade aus Amerika zurückgekommen, dort war der Feminismus als etwas Esoterisches zugange, als eine Art Suffragettentum. Eines Tages nahm mich jemand zu einem Treffen in der Via Verdi mit, in eines jener alten Mailänder Häuser. Ich erkannte sofort, daß ich da vor einer ungewöhnlichen Frau stand. Carla hatte einen einmaligen Stil, sie traf einen wie ein Blitzstrahl. In ihr gab es nicht den geringsten unklaren, dunklen Winkel.“
Sie lebte in jener reichsten Stadt Italiens das Leben der Austerität, und lehrte die Selbsterfahrung ohne Bezug zur Psychoanalyse: Man erkannte während des Erzählens, was wichtig war und was nicht. Die Erfahrung, die Carla Lonzi gelehrt hat, ist nie wieder zum Stillstand gekommen. Auch nicht, als sie 1982 an einem Krebsleiden starb, das sie schon lange in sich getragen hatte. Alle Straßen und Seitenwege des italienischen Feminismus nahmen ihren Anfang von Carla Lonzi. Die Gruppe um die „Buchhandlung des italienischen Feminismus“ in Mailand bezieht sich noch heute auf sie. Eine Zeitschrift Via dogana schreibt die Erfahrungen und ihre Verästelungen fort; in Rom zeugt die Vereinigung „Virginia Woolf“ vom Weiterleben der Theorie und Praxis Lonzis. Letizia Paolozzi von L'Unita schreibt: „Wir können heute nicht einmal mehr ausdenken, was unser Leben ohne sie wäre.“ Sie hat für die Grundlegung einer Geschichte der Frauen gesorgt – einer Geschichte, die erst jetzt wirklich begonnen hat.
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