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Keine Treuhand-Mentalität an der Uni

■ Scharfer Ost-West-Gegensatz in der Humboldt-Universität wegen der Kündigungsaffäre / Aderlaß ohne Vergleich oder irreparabler Schaden / Trotz Fehlern muß man sich nicht diffamieren lassen

Marlis Dürkop mag gestern einen Moment an Streik gedacht haben – bis zum Ende ihrer Amtszeit. Die von der CDU und der Boulevardpresse scharf angegriffene Humboldt-Präsidentin wurde im Senat der Universität nach ihrer politischen Verantwortung für die Nichtkündigung von 178 wissenschaftlichen Mitarbeitern gefragt. Dürkop antwortete: „Ich sehe sie darin, den entstandenen Schaden in Ordnung zu bringen.“

Auf 13 Millionen Mark sollen sich die Mehrkosten belaufen, die der Universität daraus entstehen, daß sie 178 Dozenten zunächst weiterbeschäftigen muß. Wegen Überlastung hatte die Personalabteilung es versäumt, die Mittelbauer zum Ende des Jahres nach den erleichterten Kündigungsregeln des Einigungsvertrages zu entlassen.

Im neu konstituierten Akademischen Senat der Uni beharrten die (West-)Professoren Tenorth und Winkler darauf zu erfahren, wer für den versäumten Entlassungstermin verantwortlich sei. Es sei ein „irreparabler Schaden“ für die Glaubwürdigkeit der Erneuerung der Universität entstanden, sagte der Erziehungswissenschaftler vom Humboldt-Forum, Heinz- Elmar Tenorth. Der Historiker Heinrich August Winkler wollte wissen, wann absehbar war, „daß eine Katastrophe eintritt“. Winkler meinte damit, daß die 178 Wissenschaftler des Mittelbaus nun eine maximal drei Monate längere Kündigungsfrist haben.

Die Ostler im Senat der Uni reagierten empört. Von der Humboldt-Uni seien Massenentlassungen erwartet worden, sagte der Jura-Dekan, Detlef Krauß. Dafür wäre „eine sehr harte Treuhand- Mentalität nötig gewesen, die die Universität nicht aufgebracht hat“. Krauß sei froh darüber, weil auf diese Weise Hunderte von Kündigungen „mit Anstand und Würde“ abgewickelt worden wären. Die Präsidentin hatte zuvor berichtet, daß die Humboldt-Universität seit 1992 779 Kündigungen vollzogen und 620 Umwandlungen von unbefristeten in befristete Stellen vorgenommen habe. Der Student Höhner sagte, für einen derartigen Aderlaß gebe es in der deutschen Universitätsgeschichte keinen Vergleich.

Vizepräsident Hasso Hofmann illustrierte dies an den Leihbeamten, die derzeit Unter den Linden Kündigungen schreiben helfen. Ihr Sachbearbeiter habe keine Erfahrung mit Kündigungen, hätte eine der Unis mitgeteilt: dort seien in den letzten Jahren zwei Entlassungen vollzogen worden. Hofmann und sein Fachkollege Krauß widersprachen, Kündigungen wären vor dem 31.12. „problemlos“ gewesen. Schnell durchgezogene Massenkündigungen hätte „uns das Arbeitgericht sofort ins Haus zurückgedrückt“.

Die Universitätsleitung stellte sich geschlossen hinter Marlis Dürkop, die 1992 an der Humboldt- Universität zur Präsidentin gewählt worden war. Kanzler Neumann sagte, er trage die Verantwortung für administrative Versäumnisse. Vizepräsident Hofmann sagte zu Presseberichten über das Fehlereingeständnis der Humboldt-Universität: „Auch wer Fehler gemacht hat, muß sich nicht in beliebiger Weise diffamieren lassen.“ Christian Füller

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