Sanssouci
: Nachschlag

■ Raimund Hoghes "Meinwärts" im Hebbel-Theater

Ein ganz kleiner Mann sitzt auf einem Stuhl, mit dem Rücken zum Publikum. Sein Rücken hat auf der rechten Seite einen Buckel. Am Boden flackern 30 Teelichte mit Windschutz. Märchenmusik, die manchmal knirscht, als käme sie vom Grammophon. 15 Minuten lang, und nichts tut sich. Bis jemand mit Erde die Friedhofskerzen erstickt. Das Hebbel-Theater: eine lichtlose Gruft. Raimund Hoghe, der Mann mit der Kinderstimme: ein Totengräber. Die Trauer, das Requiem gilt: Männern, die an Aids gestorben sind; einem Mann, der seit seiner Kindheit einen Buckel mit sich rumträgt; Joseph Schmidt, dem jüdischen, nur 1,54 Meter kurzen Tenor, der 1942 in einem Schweizer Internierungslager gestorben ist. All diese Toten verbindet nichts, aber Raimund Hoghe (zehn Jahre Dramaturg bei Pina Bausch) versucht mit aller Macht und 90 Minuten lang, uns eines Besseren zu belehren. Er zündet Dutzende von Kerzen und Teelichten an, leuchtet mit einer Taschenlampe, irrlichtert planlos zwischen Diaprojektor und Lampionketten umher und stilisiert rote Tulpen zu Ikonen. Wenn alle Symbolfracht nicht wirkt, rezitiert er die Vita Schmidts, oder er liest Postkarten von Freunden vor, die an Aids gestorben sind. Dazwischen immer mal Musik, Schmidts wunderschön schmachtige Arien und Filmschlager, die eigentliche – und einzige – Klammer des Abends.

Hoghe trauert öffentlich und zwingt die Zuschauer, mitzuheulen. Hoghe versteckt seinen Buckel nicht – einmal macht er sogar nackt am Trapez Klimmzüge – aber nie wird man den Eindruck los, er stelle ihn sensationslüstern zur Schau. Hoghe schwingt die Keule der Betroffenheit, denn zu allem Überfluß verquickt er Aids, Buckel und Joseph Schmidt mit dem Holocaust. Er zitiert oberlehrerhaft Paul Celans „Todesfuge“, wir hören Züge rumpeln – und das Deutsche an diesem urdeutschen Theaterabend erschlägt uns. Hoghes „Meinwärts“ aber dokumentiert nicht die assoziative Auseinandersetzung mit Schwul-, Krüppel- und Todkrank-Sein, sondern allein die Hilflosigkeit des Künstlers. Hoghes Trauer muß so groß sein, daß sie ihn sprachlos gemacht hat: Er hat uns nichts zu sagen.

Für Hoghes mag „Meinwärts“ heilpädagogisch zweckmäßig sein, die Zuschauer aber läßt er außen vor. Sie interessieren ihn womöglich gar nicht, denn er trauert privat. Sein Thema ist nur er selbst, und das ist entschieden zuwenig für eine Performance. Die Erinnerung an seine Freunde und an Joseph Schmidt inszeniert er als Totenkult – als hätten die nie auch gelebt und Spaß gehabt. Thorsten Schmitz