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Ein Kulturhaus im Sturzflug

Das 1946 von den Alliierten zugelassene Kulturhaus „Die Möwe“ in Mitte droht zum Gewerbestandort zu werden / Kampf um den Erhalt  ■ Von Severin Weiland

Die Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war deutlich. Ein „repräsentatives spätklassizistisches Gebäude“, so der Werbetext der Immobilienagentur Aengevelt, sei für „nur 10,5 Millionen Mark“ in Berlins Mitte zu erwerben. Was da „vollgewerblich nutzbar“ bundesweit im Januar dieses Jahres angeboten wurde, gehört zu den Kronjuwelen der Stadt. Das Gebäude in der Luisenstraße 18 beherbergt nicht nur die größte Theaterbibliothek Europas (rund 55.000 Bände). Hier werden auch vom Künstlerklub „Die Möwe“ – nach dem das Gebäude benannt ist – Lesungen und Theateraufführungen veranstaltet, Filme gezeigt, Musik gespielt. 43 Mitarbeiter arbeiten seit rund zwei Jahren in drei ABM-Projekten, halten so den Betrieb des Hauses aufrecht.

Das in den dreißiger Jahren des vorherigen Jahrhunderts erbaute Gebäude blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: zunächst Dienstsitz des preußischen Generalfeldmarschalls Friedrich Graf von Wrangel, später Stadtpalais der Familie von Bülow, in den zwanziger Jahren Heimstatt für eine Freimaurerloge und einen jüdischen Kulturverein, zum Ende des Zweiten Weltkrieges Offizierscasino. Nicht zuletzt auf Drängen der sowjetischen Kulturoffiziere wurde das Haus am 15. Juni 1946 als Begegnungsstätte „Die Möwe“ wiedereröffnet. Namenspatron war das gleichnamige Stück des russischen Literaten Anton Tschechow. Gegen ein geringes Entgelt traf sich bei Borschtschsuppe und Würstchen, Bier und Wodka in jenen Jahren die „gesamte Kunstwelt Berlins“, wie der Dramatiker Carl Zuckmayer schrieb. Bertolt Brecht und Helene Waigel wohnten nach ihrer Rückkehr aus den USA eine Zeitlang hier, Klaus Kinski rezitierte Gedichte in der „Möwe“, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir referierten über den Existentialismus. 1949 wurde das Haus aus baulichen Gründen geschlossen und erst vier Jahre später für Künstler wiedereröffnet. Vorausgegangen war ein heftiger Streit mit SED-Funktionären, die in den aus der Gründerzeit stammenden Räumen – dem Kaminzimmer, dem getäfelten Eichensaal, den allegorischen Malereien und der marmorbelegten Treppe – gerne selbst residiert hätten. Das Ende der DDR spülte die skurrilsten Goldgräber vor das Haus. „Möwe“-Geschäftsführer und Vereinsvizepräsident Michael Fischer erinnert sich noch heute schmunzelnd an einen Vietnamesen, der für zehn Millionen Mark ein Bordell einrichten und ihn als Chef des Hauses engagieren wollte. Erst nach langwieriger Suche konnte der Künstlerklub den letzten Eigner, den in Westdeutschland lebenden Hans Baschek, ausmachen. Als dieser das zum Teil unter Denkmalschutz stehende Palais im Frühjahr 1992 für 6,5 Millionen Mark an die Geschäftsleute Wilfried Euler und Manfred Hillenbrand verkaufte, schien die Zukunft der „Möwe“ gesichert. Baschek hatte vertraglich festlegen lassen, daß der Klub im Gebäude verbleiben sollte. Doch der Schachzug des Vereins, die beiden Käufer über eine Ehrenmitgliedschaft an das Haus zu binden, erwies sich als Flop. Im Herbst vergangenen Jahres wurde die Immobilie an der Luisenstraße offen als Gewerbefläche für Büros, Botschaften oder Hotelbesitzer gehandelt. „Möwe“-Geschäftsführer Michael Fischer mußte feststellen, daß Euler und Hillenbrand sich nie als Eigner ins Grundbuch eingetragen hatten. Ein Indiz, daß offenbar von Anfang an der Verkauf des Gebäudes geplant war. Euler selbst will sich zum Verkauf nicht äußern. Die Agentur Aengevelt bedauert mittlerweile den Werbetext. Er sei eine „unglückliche Formulierung“ gewählt worden, meint Mitarbeiter Bodo Freyer. Es sei klar, daß die „Liegenschaft unter Beibehaltung des Künstlerklubs im Gebäude“ verkauft werde.

Umstritten scheint nur, wo die räumliche Grenze des Klubs beginnt oder endet. So forderte Hillenbrand im vergangenen Jahr die Räumung der besonders wertvollen vorderen Räume. Das hätte, wie Fischer versichert, „unsere Arbeit praktisch lahmgelegt“. Denn ein Gutteil der Betriebskosten werden über die Vermietung an Veranstalter wieder hereingeholt. Fischer ist über Anzeigen wie jüngst in der FAZ besorgt: „Das Haus muß ein Ort der Kultur bleiben, hier gibt es keine Immobilienfläche zu vermieten.“ In den Konflikt hat sich mittlerweile der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus- Rüdiger Landowsky eingeschaltet. Er will den Bau in der Nähe des Reichstags als „Begegnungsstätte zwischen Kultur und Politik“ erhalten. Den Kultursenator forderte er auf, sich „unverzüglich“ in die Verkaufsverhandlungen mit den Eigentümern einzuschalten.

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