: Ungefärbte Blütenträume
Mit der Niedersachsen-Wahl, dem ersten Urnengang 1994, steht am Sonntag eine für die künftige Parteienkonstellation in Deutschland wichtige Testwahl ins Haus. Gerhard Schröder träumt von der SPD-Alleinherrschaft in Hannover.
Noch 219 Tage sind es bis zur Bundestagswahl, 99 noch bis zur Fußballweltmeisterschaft, doch in Niedersachsen ist bereits übermorgen Endspiel. Viele Wahlplakate sind schon ramponiert oder mit dicken Filzern kreativ umgestaltet. Merkwürdig gut gehalten haben sich nur jene, auf denen die SPD zum Abschluß das Bild des Landesvaters pur anbietet – ohne die drei Parteibuchstaben und ohne Gerhard Schröder zu erwähnen. Bündnis 90/Grüne haben am Mittwoch abend ihre Abschlußveranstaltung in Hannover hinter sich gebracht. Die Spitzenkandidatin Andrea Hoops, die jetzige Fraktionsvorsitzende Thea Dückert, Minister Jürgen Trittin, Hessens Joschka Fischer und auch die leidlich erholte Frauenministerin Waltraud Schoppe stellten sich einer dreistündigen Diskussion mit der Wähler- oder Parteibasis. Der große Saal bei „Faust“, einem Veranstaltungszentrum auf einem ehemaligen Fabrikgelände, war voll, die Lautsprecheranlage miserabel. Wer etwas verstehen wollte, mußte schon weit vorne sitzen.
Aber über mangelnden Zuspruch in den Veranstaltungen oder die Stimmung können die Bündnisgrünen nicht mehr klagen. Ihre Wahlplakate haben sie inzwischen gewechselt. Die sind zwar nicht mehr so schön gestaltet wie die ersten, dafür aber verständlich: heftigst grün, das Parteisymbol groß genug, dazu der Spruch „In Ökologie und Solidarität die Nummer 1“. Natürlich werben sie für eine Neuauflage des rot-grünen Bündnisses. Gegen das Wahlziel des Ministerpräsidenten – die absolute Mehrheit der Mandate, die reine SPD-Regierung – setzen sie in ihren Veranstaltungen die Aufforderung „Die Alleinherrschaft des absoluten Schröder verhindern“. Vor allem auf die – wichtigere – Zweitstimme der WählerInnen haben es die Bündnisgrünen dabei abgesehen. Die grüne Zweitstimmenkampagne zielt direkt auf jenen Teil der SPD-Klientel, die auf das Modell Rot-Grün eingeschworen ist.
„Zweitstimme für die FDP“, so werben auch die Freidemokraten, nur wollen sie die zweite Stimme des Wählers, der „den Wechsel“ weg von Rot-Grün will. Bei der FDP geht es wieder einmal ums parlamentarische Überleben. Den Bündnisgrünen prognostizieren die Umfragen sieben bis acht Prozent – einen Zugewinn um etwa zwei Punkte. Die FDP wird zwischen 4,5 und fünf Prozent gehandelt. Ihre Zweitstimmenkampagne ist allerdings auf die WählerIn in der Mitte, auf CDU-Anhänger, gemünzt. „Bis in tiefe Schichten der CDU-Wähler hinein besteht die Auffassung, daß nur die FDP die Partei ist, die Rot-Grün abzulösen vermag“, verkündete der FDP- Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Stefan Diekwisch gestern hoffnungsfroh. Auch Diekwisch machte bereits die Wahlkampfbilanz auf; in einem werden ihm dabei auch die Konkurrenten aus den anderen Parteien zustimmen. Nicht nur bei der FDP, sondern bei allen vier Landtagsparteien waren die Wahlkampfveranstaltungen diesmal wesentlich besser besucht als vor vier Jahren. Daß im allgemeinen „die Zustimmung zu den Parteien wieder wächst, daß wir eine hohe Wahlbeteiligung zu erwarten haben“, schließt der FDP- Politiker daraus. Allerdings verzeichnen auch die letzten Umfragen immer noch einen mit 30 Prozent hohen Anteil unentschlossener, womöglich mit dem Angebot an Parteien unzufriedener Wähler.
Zwei Tage vor der Wahl ist die politische Situation in eigentümlicher Weise unübersichtlich. Das Rennen zwischen Gerhard Schröder und seinem jungen CDU-Gegenspieler Christian Wulff scheint entschieden, doch alles andere ist offen. Weder Schröder – schließlich macht der ganz auf Regionalfürst – noch die CDU – schließlich sind deren Aussichten zu schlecht – wollen den Urnengang als Test für die bundesweite Stimmung zu Beginn des Wahljahres verstanden wissen.
Und doch steht eine für die künftige Parteienkonstellation in der Bundesrepublik wichtige Testwahl ins Haus. Im nächsten Landtag könnten „nur zwei oder auch sechs Parteien sitzen“, sagte jüngst der CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff. Das war ein wenig übertrieben, sind doch die Bündnisgrünen in allen Umfragen nie in die Nähe der fünf Prozent geraten und können doch die beiden „Stattparteien“ auch zusammen nur einen Teil der „4 Prozent Sonstige“ für sich reklamieren, den etwa die letzte Umfrage der Landesregierung auswies. Aber um die Frage „Drei, vier oder fünf Parlamentsparteien“ wird es am Sonntag sehr wohl gehen, und dies mit möglicherweise fatalen Folgen.
Sicherlich haben die Rechtsradikalen diesmal in Niedersachsen kaum Wahlkampf gemacht, sind nur durch Klagen in Erscheinung getreten, durch die sie sich Wahlwerbezeit in den Medien erstritten haben. Allerdings haben die Ausländerfeinde seit September 1991 bei jeder bundesdeutschen Landtagswahl mehr als fünf Prozent erzielt. In Hamburg scheiterten sie zuletzt nur, weil sich ihr Anteil von 7,6 Prozent auf „Republikaner“ und DVU aufteilte. In Niedersachsen tritt die DVU nicht an. In den Umfragen haben die Reps Schritt für Schritt zugelegt, liegen inzwischen bei vier bis knapp unter fünf Prozent. Der CDU ist anzurechnen, daß ihr Spitzenkandidat Christian Wulff in diesem Wahlkampf auf ausländerfeindliche Töne verzichtet hat. Die letzte Wahl in Niedersachsen, die Kommunalwahl des Jahres 1991, hatte die CDU noch mit Parolen gegen Flüchtlinge bestritten, wie sie auch von den Reps hätten stammen können. Daß es kaum noch um einen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten geht, könnte die Reps weiter begünstigen.
FDP-Spitzenkandidat Stefan Diekwisch sprach noch gestern von einem „Wahlkampf jeder gegen jeden“, denn schließlich sei auch der Ministerpräsident nicht für die rot-grüne Koalition, sondern nur für seine eigene Partei, die SPD, in den Wahlkampf gezogen.
Die FDP leitet aus Schröders durch und durch sozialdemokratischem Wahlkampf die Hoffnung ab, daß es nach dem Sonntag doch zu Verhandlungen zwischen ihr und der SPD kommen könnte. Die in der Presse kolportierten geheimen Vorabgespräche zwischen SPD und FPD über die Situation nach der Wahl aber hat es keineswegs gegeben, so mußte Stefan Diekwisch klarstellen. Auch Schröder hat die Querelen, die SPD und Bündnisgrüne in den letzten Monaten gegeneinander inszenierten, schlicht als „Wahlkampfgeklingel“ bezeichnet.
Mit der Situation „jeder gegen jeden“ hat Diekwisch auch das Dilemma der niedersächsischen FDP umschrieben. Sie muß die bisher höchst unsicheren fünf Prozent zusammenbekommen, obwohl ihr die Rolle der Mehrheitsbeschafferin abhanden gekommen ist. Gleiches droht ihr auf Bundesebene. Die CDU muß sich inzwischen Mut machen: Sie prognostiziert gegen die vorhergesagten rund 35 Prozent ein „Desaster der Meinungsforscher bei der Landtagswahl am 13. März“. Selbst der bisher getreue Partner FDP hat nun kurz vor Toresschluß die Christdemokraten noch verlassen. „Nach Lage der Dinge werden wohl eher Koalitionsverhandlungen mit der SPD als mit der CDU möglich sein“, drückte es der FDP-Landesvorsitzende gestern aus.
Eine absolute Mehrheit der SPD-Mandate, von der Schröder träumt, wäre allenfalls möglich mit einem Drei-Parteien-Parlament. Doch das ist weniger wahrscheinlich als eine Fortsetzung von Rot- Grün. Jürgen Voges, Hannover
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