Umsteuern auch auf kommunaler Ebene

■ 3. Welt-Gruppen: Entwicklungspolitik auch bei Landtags- und Kommunalwahl berücksichtigen

Entwicklungspolitik – bei diesem Wort denken viele an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, verantwortlich für die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung. Oder an die EG, die besondere Kontakte zu ihren ehemaligen Kolonien pflegt (siehe auch die neue Bananenordnung). Die wenigsten denken dabei an Landespolitik.

Aber die Bundesländer betreiben auch eigene Entwicklungspolitik. Das Land Niedersachsen hat einen jährlichen Etat von ca. 9 Mio DM, der für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern zur Verfügung steht. Das ist zwar nur ein geringer Betrag verglichen mit den entsprechenden Bundes- oder EG-Mitteln, aber auch mit dieser relativ bescheidenen Summe kann entweder traditionelle Entwicklungshilfe durchgeführt werden, die nicht selten in Zusammenarbeit mit brutalen Diktaturen oder der Erstellung von Entwicklungsruinen mündet, oder es werden Akzente gesetzt zur Emanzipation und Befreiung der Menschen in den Ländern des Südens, Förderung von Ökologie- und Frauenprojekten u.ä. Wichtigster Ansatz für eine ökologisch, solidarische Entwicklung ist jedoch die Strukturanpassung im Norden. Die Industrienationen stellen 20 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen aber rund 80 Prozent der weltweit verfügbaren Ressourcen. Unsere Strukturen müssen sich ändern, damit Gerechtigkeit auf der Welt möglich wird. Auch die Landespolitik darf Entwicklungspolitik nicht als Luxusaufgabe für ruhige Zeiten ansehen, sondern muß sie als Überlebensfrage der Menschheit und damit wichtige Querschnittsaufgabe der Regierungspolitik begreifen. Das setzt, trotz sonstiger Sparappelle, auch eine Absicherung und Aufstockung der für diesen Bereich eingesetzten öffentlichen Mittel voraus. Zugunsten entwicklungspolitischer Fragestellungen hat sich der VEN (ein Dachverband der niedersächsischen entwicklungspolitischen Initiativen, Gruppen und Organisationen) in den Landtagswahlkampf eingemischt und die vier Landtagsparteien mit seinen Forderungen konfrontiert.

1. Forderung: Anerkennung von Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe

Die wechselseitigen Abhängigkeiten (zum Beispiel in den Bereichen Umwelt, Migration) nehmen weltweit ebenso zu wie die Rückwirkungen einzelstaatlicher Politik der Industriestaaten des Nordens auf andere Länder der internationalen Gemeinschaft. Im Norden ist eine andere Entwicklung notwendig, damit die Menschen des Südens eine menschenwürdige Perspektive bekommen. Deshalb ist die Anerkennung von Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe, die nicht nur in einem Ressort stattfindet, und damit verbunden Aufbau und Einrichtung einer Entwicklungsverträglichkeitsprüfung (EVP) vordringlich. Die Politik der Landesregierung muß „entwicklungsverträglich“ sein, das heißt sie darf die eigenständige Entwicklung der Länder der sog. 3.Welt nicht behindern, sondern soll sie im Gegenteil fördern. Dies soll nicht nur die Landesregierung und alle Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Öffentlichen Rechts binden, sondern auch alle juristischen Personen des privaten Rechtes, deren Kapital sich ausschließlich oder überwiegend in öffentlicher Hand befindet. Konkret bedeutet dies für Niedersachsen, daß Vorhaben im Bereich der Wirtschafts-, Landwirtschafts-, der Umwelt-, Verkehrs- und Technologiepolitik, aber auch Pläne von VW oder der Norddeutschen Landesbank u.ä. auf ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen, also entwicklungsverträglichen Auswirkungen überprüft werden müssen.

2. Forderung: Unterstützung kommunaler Entwicklungszusammenarbeit

Die Anerkennung der Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit erfordert die Auseinandersetzung mit entwicklungspolitischen Fragen als verbindliche Aufgabe staatlicher und kommunaler Stellen. Deshalb ist der Ausbau und die stärkere Unterstützung der Bildungs- und Informationsarbeit von entwicklungspolitischen Initiativen auf Landes- und Kommunal-ebene gefordert. Das Engagement kommunaler Stellen ist durch das Land zu fördern. Kommunale entwicklungspolitische Beauftragte sollen in Städten und Gemeinden Niedersachsens benannt werden. Diese sollen die entwicklungspolitischen Aktivitäten auf lokaler Ebene fördern und den kommunalen Gremien über Entwicklungen in diesem Bereich berichten. Für die kommunale Entwicklungszusammenarbeit sind bei den Kommunen eigene Haushaltsstellen einzurichten. Hierzu müssen die Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) und die niedersächsische Landkreisordnung (NLO) entsprechend geändert werden.

In verschiedenen Regionen des Landes soll der Aufbau und Betrieb regionaler 'Zentren für Entwicklungszusammenarbeit' gefördert werden. Regionale und lokale Initiativen sollten Träger sein. Die Zentren sollen die interkulturelle Begegnung und die regionale und lokale Arbeit der Initiativen und Gruppen fördern und den gesellschaftlichen Gruppen für entwicklungspolitische Informationen zur Verfügung stehen. Der Beitritt der Kommunen zum 'Klimabündnis europäischer Städte mit den Völkern der Regenwälder' und die Umsetzung des Vertrages sollen ebenso gefördert werden wie Städtepartnerschaften als Form des aktives Austauschs.

3. Forderung :Stärkere Berücksichtigung in der Bildungsarbeit

Im Bereich schulischer Bildungsarbeit und außerschulischer Jugend- und Erwachsenenbildung muß der Aspekt der 'Einen Welt' verstärkt gefördert werden, u.a. durch Stärkung regionaler und lokaler 'Eine Welt Zentren', die sich einsetzen für interkulturelles Lernen, fairen Handel u.ä.. Schulische Bildung sollte verstärkt auch auf den Bereich 'Eine Welt-Bildung' ausgerichtet werden (Lehrpläne, Fortbildungen, Freistellung von LehrerInnen für Koordination, AG-Leitung, Hilfestellungen u.ä., Förderung von Schulprojekten und –partnerschaften).

Entwicklungspolitische Themen sollen in allen Disziplinen und als interdisziplinäres Lernfeld in die Lehrpläne der allgemeinbildenden Schulen, der Berufsfachschu-len und Hochschulen aufgenommen werden.

Da in der öffentlichen Verwaltung politische Entscheidungen vorbereitet und umgesetzt werden, müssen die dort Beschäftigten stärker für entwicklungspoli-tische Inhalte sensibilisiert werden. Hochschulen sollen zu verstärkter Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern auch in der Forschung angeregt werden.

4. Forderung: Einrichtung einer entwicklungspolitischen Kommission

Entwicklungspolitik ist auch auf Länderebene eine wichtige Querschnittsaufgabe, die in Überlegungen aller Ressorts Eingang finden muß. Um eine kompetente Beratung der Landespolitik bei entwicklungspolitischen Fragestellungen zu gewährleisten und eine Verankerung der Thematik in der öffentlichen Diskussion voranzutreiben, ist die Einrichtung einer entwicklungspolitischen Kommission auf Landesebene beim Landtag erforderlich. Um wirkungsvoll mitwirken zu können an dem Ziel, die Politik in den Ländern das Nordens umzustrukturieren und entwicklungsverträglich zu gestalten, braucht eine solche Kommission Antrags- und Anhörungsrecht.