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SanssouciNachschlag

■ Schrankwand-Kabarett: Claus Ramm im Café Scheselong

Riecht ein Programm auch nur ansatzweise nach Travestie, denken KulturredakteurInnen mit Vorliebe an ihre schwulen Autoren. Das nur als „Entschuldigung“ vorneweg, warum ich mich am Freitag abend nicht auf der Jubiläums-Erotikparty der AHA vergnügte, sondern im Café Scheselong eingeklemmt zwischen vierzigjährigen Ehegatten saß. Aber einmal im Jahr, so dachte ich bei mir, kann man Straps-Harrys Nachfahren schon ertragen. Und außerdem hatte ich von Claus Ramm und seinem Programm „Herrenhaft – Damenhaft“ zuvor noch nie etwas gehört.

Irgendwie erinnerte mich der Typ sofort an meine Tante Karin. Wie er da unbeholfen und überschminkt mit seiner Fünfziger-Jahre-Damenfrisur auf die Bühne stolperte und in einem fort zu plappern begann, im tiefsten Berlinerisch und mit einem Organ wie ein Bär. Genauso hatte sich Tante Karin bei Familienfeiern im elterlichen Wohnzimmer auch immer benommen, als ich noch klein war, Mutti mir großzügig ein halbes Glas Cidre genehmigte und Salzstangen im Übermaß. Bis um neun Uhr, dann war's Zeit fürs Bett.

Im Scheselong mußte ich auf den erlösenden Sandmann vergeblich warten. Vor Claus Ramms Schrankwand-Kabarett gab's kein Entrinnen. Alle fünf Minuten konstruierte er mühsam kleine Sprachspiele, deren Pointen er oft verpatzte, weil er die auswendig gelernten Zoten über Suff und Sex einfach nur herunterratterte. Und wenn Ramm sang, sehnte man sich geradezu nach Karl Dall und Didi Hallervorden: „Da war Blut in deinen Augen, Erbrochenes in deinem Haar“, versuchte er sich einmal an der Schlager-Parodie, und – „frei nach Beinhart Mey“ – blökte er: „Über den Wolken muß der Fusel wohl hundertprozentig sein.“ Was ham wir da gelacht. Ach so, die Handlung: In „Herrenhaft – Damenhaft“ geht's um einen Penner, der in Frauenkleider schlüpft, um beim Arzt für die feige Freundin die Pille zu besorgen.

„Ich muß mal“, brummte Claus Ramm plötzlich und leitete damit die Pause ein. Das gefiel mir: Genau dieselbe Ausrede hatte ich früher nämlich genutzt, um mich von Tante Karins Zotenrunde zurückzuziehen und statt dessen im Kinderzimmer noch ein Buch zu lesen. „Ich muß mal“, sagte ich denn auch am Freitag abend zu meinem Scheselong-Nachbarn und tauchte zur zweiten Hälfte des Programms nicht wieder auf. Micha Schulze

Foto: Veranstalter

Weitere Vorstellungen am 18. und 19.3., 21 Uhr, Theater im Café Scheselong, Wilsnacker Straße 61, Tiergarten.

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