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„Racheaktionen der Justiz“

Übergriffe gegen Journalisten werden immer dreister / Das Repertoire reicht von Durchsuchungen bis zur erkennungsdienstlichen Behandlung  ■ Aus Köln Bernd Müllender

Rainer Laubig, Politikredakteur der Stuttgarter Zeitung, hatte intensiv recherchiert. Am 2. März erschien seine Geschichte über die heimische Mafia-Connection, die Verbindungen mutmaßlicher Mafiosi bis in höchste CDU-Zirkel im Ländle: „Mafia in Reinkultur wie in einem schlechten Film.“ Der 46jährige hatte aus Internberichten der Justizbehörden zitiert und dabei „massive Abhörpannen“ und „geheime wie unrechtmäßige Lauschangriffe auf Anwaltskanzleien“ entdeckt. Der Bericht schloß mit den Worten: „Fortsetzung folgt. Ende offen.“

Die baden-württembergische Justiz wollte die Fortsetzung nicht abwarten, und so wurde es am nächsten Morgen gegen 11 Uhr auf einmal eng in Laubigs kleinem Redaktionsbüro. Acht Polizeibeamte, dazu ein Staatsanwalt, verlangten mit richterlichem Durchsuchungsbefehl die Herausgabe aller Unterlagen. Begründung: Verdacht der Beihilfe bei Verletzung von Dienstgeheimnissen.

Laubig zuckte die Schultern. Ob man ihn für so blöd halte, daß er die Akten herumliegen habe? Dann müsse man in seine Wohnung. Die sei so gut wie leer, antwortete der Beschuldigte. Er sei dabei, zu seiner Lebensgefährtin zu ziehen. Weitere vier Beamte stellten anschließend die Wohnung der Partnerin auf den Kopf. „Es war“, so Laubig, „extra eine Beamtin dabei, über die Unterwäsche der Freundin machten sich die Männer her. Der Inhalt eines durchsichtigen kleinen Schmuckkästchens wurde ausgeschüttet – als paßten da Akten rein. Lauter kleine Gehässigkeiten und Schikane.“ Gefunden wurde nichts.

Nicht nur Laubig ist in den vergangenen Wochen Opfer staatlicher Schnüffelwut geworden. Schon im Januar rückte ein volles Dutzend Beamter bei Focus in München mit einem Streamer an und saugte die Festplatte des Redakteurs Markus Krischer ab – in den Tiefen der Dateien vermutete man Hinweise auf Beamtenbestechung. Denn wie sonst habe der Journalist an die erstmals veröffentlichten Briefe der mutmaßlichen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld an ihre Schwester gelangen können? Im niederrheinischen Geldern bekam der Journalist Hermann-Josef Bianchi mehrfach Besuch vom Landeskriminalamt, dessen Mitarbeiter Wohnung und Büro durchsuchten und Akten mitgehen ließen. Gegen Bianchi wird ermittelt wegen Anstiftung zur Falschaussage, Kokainhandel, Gefangenenbefreiung. Hintergrund: Der vermeintliche Schwerkriminelle recherchiert seit zwei Jahren in einem Fall von Kronzeugenmanipulation in einem dubiosen Duisburger Raubprozeß.

Die neue Inflation der Attacken gegen die Medien war am Montag abend in Köln Anlaß für ein Diskussionsforum des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Mit einem „Kölner Appell“ ruft der Verband auf gegen die „immer dreisteren Übergriffe“: „Hände weg von der Pressefreiheit!“ Diese Übergriffe, da waren die DJV- Mitglieder einig, liegen höchstens zu einem kleinen Teil am Wahlkampf. Spätestens seit Oskar Lafontaine „das Zeitalter des Schweinejournalismus“ ausgerufen hat, droht die öffentliche Meinung gegenüber der Presse zu kippen. DJV-Vorsitzender Hermann Meyn sprach von einer „Beifallsgarantie für Medienschelte“ und beklagte „das grandiose Schweigen der Politik“ bei den „Racheaktionen der Justiz nach den vielen aufgedeckten Politiker-Skandalen der letzten Jahre“. Eine Kettenreaktion von Emotionen baut sich auf, eine Stimmung, in der es Justizminister, Kriminalämter und Staatsanwälte leicht haben, den Bock zum Gärtner zu machen.

Wie auch bei WDR-Redakteur Wolfgang Landgraeber, Mitautor des Buches „Das RAF-Phantom“. Neben diversen Durchsuchungen wurde er gar erkennungsdienstlich behandelt. Begründung: Verletzung von Dienstgeheimnissen in besonders schwerem Fall. Landgraeber hatte den RAF-Kronzeugen Siegfried Nonne dazu bewegen können, vor laufenden Kameras zu sagen, seine Aussagen seien von Behörden abgepreßt worden.

Doch öffentliche Empörung ob der neuen Übergriffswelle gibt es kaum. Das Image vom unseriösen Scheckbuchjournalismus durchweht die Branche. Parallel wird an knebelnden Gesetzen gearbeitet. Die CDU hat gerade medienpolitische Leitlinien verabschiedet, nach denen ein Gegendarstellungsrecht Attackierter mit Kommentierungsverbot ansteht, BürgerInnen sollen gar Löschungsansprüche gesammelte Daten bei Zeitungen haben, und JournalistInnen können schadenersatzpflichtig gemacht werden. Landgraeber sieht heute schon die Folgen: Die Justizquellen, die von den Mauscheleien um den Tod von Wolfgang Grams Informationen stecken könnten, sind plötzlich versiegt. Die aufrechten Beamten haben Angst, daß ihre Namen in den Redaktionen wiedergefunden werden.

Doch nicht nur die Schwarzen attackieren die Presse. Das erste knebelnde Landesmediengesetz ist ausgerechnet im Land des Schweinejournalismus-Opfers Lafontaine in Arbeit. Warum dieser Maulkorb, mußte sich die SPD- Europaabgeordnete Karin Junker Montag abend fragen lassen. Sie würde ihrem „Freund Oskar auch abraten“, beteuerte sie und versprach, als stellvertretende Vorsitzende in der SPD-Medienkommission entsprechend zu wirken.

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