Große Abrisse, kleine Katastrophen

■ In einem taz-Interview äußert sich Dorothee Dubrau, Baustadträtin Mitte, zu Abrißmaßnahmen und den Möglichkeiten der Stadtbezirke, diese zu unterbinden / "Historischer Charakter der Stadt geht verloren"

Wer heute die Friedrichstraße entlanggeht, muß sich unter Abrißbirnen ducken. Aber nicht nur Relikte des sozialistischen Städtebaus werden weggefegt. Die Abrißorgie hat auch Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und verschiedene Baudenkmäler erfaßt. Der Sendezentrale von Sat.1 am Hausvogteiplatz sollen ganze Gebäudeteile aus dem Jahr 1782 weichen. Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) plant, den denkmalgeschützten Zollernhof auszuhöhlen.

taz: Frau Dubrau, welche Instrumente besitzt der Bezirk, Abrißanträge zu unterbinden?

Dorothee Dubrau: Wenn es sich nicht um Wohnhäuser und eingetragene Baudenkmäler handelt, bleiben dem Bezirk kaum Instrumente. Die Möglichkeiten beschränken sich im wesentlichen auf Gespräche und Blockaden. Ich finde es schlimm, wenn Grundstücke wie etwa im Rosmarin-Karree aus dem Vermögen der Treuhand oder des Landes Berlin verkauft werden, ohne daß die städtebaulichen Ziele für den Standort genau in den Vertrag hineingeschrieben werden. Werden am Ende die Abrisse genehmigt, geht der historische Charakter der Stadt verloren.

Bleibt nicht dem Bezirk die Möglichkeit, einen Abrißantrag abzulehnen?

In einigen Fällen, in denen der Bezirk den Abrißantrag ablehnte, ging der Widerspruch an die Senatsbauverwaltung. Es ist deprimierend, daß selbst bei wertvoller historischer Bausubstanz, wie beispielsweise beim Zollernhof, die Bauverwaltung dem Abriß zustimmt.

Warum kann der Bezirk die Altbauten nicht unter Schutz stellen?

Der Bezirk verfügt über eine untere Denkmalbehörde, deren Aufgabe es ist, den Denkmalwert der Gebäude zu prüfen. Wird aber von der oberen Denkmalbehörde der Antrag blockiert, haben wir keine rechtlichen Instrumente mehr, den Bau unter Denkmalschutz zu stellen. Die Bauverwaltung kann dann, wie gesagt, dem Abriß zustimmen.

Die Senatsbauverwaltung hat sich immer lautstark gegen große Abrißvorhaben gewandt. Sowohl Bausenator Nagel als auch sein Baudirektor Hans Stimmann betonen, daß die Fehler der Vergangenheit, jene Flächensanierungen der siebziger Jahre, nicht wiederholt würden. Stellen Sie einen Paradigmenwechsel in der Bauverwaltung fest?

Ich verstehe die Haltung dort nicht. Beim Zollernhof oder im Rosmarin-Karree wurde seitens der Bauverwaltung dem Abriß stattgegeben, obwohl gleichzeitig betont wurde, daß es besser wäre, die Bauwerke zu erhalten.

Wie viele Abrißanträge liegen dem Bauamt im Bezirk Mitte derzeit vor?

Mir liegen rund 160 Abrißanträge vor. Würde jeder Abbruchantrag genehmigt, wäre das fast flächendeckend. Es gibt in Mitte kaum ein Karree, wo nicht ein Abriß erfolgen soll.

Handelt es sich bei den geplanten Abbrüchen ausschließlich um Einzelgebäude?

Teilweise stehen auch Gebäudekomplexe und Ensembles unter Abrißandrohung.

Hat das Abrißbegehren damit zu tun, daß man die Preise für Büromieten nicht mehr in dem Maße erzielen kann wie noch vor zwei Jahren? Anders formuliert: Rechnet sich für den Investor nur noch ein Neubau?

Zum einen sind es die hohen Grundstückspreise und die geringen Auflagen für den Umgang mit der Bausubstanz, die zu Abrißbegehren führen. Zum anderen, vermute ich, sind die steuerlichen Abschreibungen beim Neubau günstiger als bei der Sanierung bestehender Objekte. Hinzu kommt, daß Neubauflächen besser genutzt und verwertet werden können. Wo jetzt ein alter Fünfgeschosser steht, kommt morgen ein Achtgeschosser hin.

Gibt es Abrißanträge in der Spandauer Vorstadt?

In der Spandauer Vorstadt, die als Flächendenkmal eingetragen ist, liegen Anträge auf Abrisse und Teilabrisse, etwa für die Linien- oder Gipsstraße, vor.

Demnach wäre das Flächendenkmal Spandauer Vorstadt nur ein Stück Papier wert?

Bei einem Flächendenkmal gibt es bessere Chancen für den Erhalt als sonst. Im Sanierungsgebiet haben wir die Erhaltungssatzung. Handelt es sich um ein Wohnhaus, bleibt die Möglichkeit, gegen das Verbot der Zweckentfremdung vorzugehen. Baut der Investor allerdings Wohnungen, entfallen diese Mittel. Aber wir haben auch Denkmäler, die abgerissen werden sollen.

Ist eine Erhaltungssatzung für die Friedrichstadt angedacht?

Es gibt den Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung Mitte aus dem Jahre 1991, der für die Friedrichstadt, die Dorotheenstadt sowie die Friedrich-Wilhelm- Stadt die Erhaltungssatzung fordert. Das Problem ist nur, daß wir für deren Festlegung die Genehmigung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung brauchen. Bis dato ist keine Reaktion aus dem Hause Hassemer gekommen. Es ist grotesk: Denkmaleintragungen werden behindert. Liegt ein Abrißantrag vor, ist die Zeit für uns zu kurz, die vorläufige Eintragung des Baus als Denkmal vorzunehmen. Schließlich werden Einzelverträge über Abrisse mit Investoren ausgemacht. Alles geht dahin, den Investoren die besten Voraussetzungen zum Bauen zu geben.

Volker Hassemer und Wolfgang Nagel wären demnach Abrißsenatoren?

Nein, so extrem will ich es nicht sehen. Tatsächlich konzentrieren sich die Abrisse auf den Bezirk Mitte. In anderen Bezirken ist es aber nicht so. Hassemer und Nagel tun also noch anderes. Aber es gibt ein Dutzend Beispiele, wo die Senatsverwaltungen ihre Kraft nicht nutzen.

Warum hat der Bezirk den Abrissen etwa an der Straße Unter den Linden zugestimmt?

Beim Lindencorso und dem Hotel Unter den Linden sind wir an der Wiederherstellung der historischen Struktur an der berühmten Kreuzung interessiert gewesen.

Es gibt also Prioritäten für den Erhalt und den Abriß?

Beim Erhalt geht es generell um den Erhalt von Bausubstanz, der Wert hat. Das kann sich nicht auf Bauten vor 1939 beschränken oder auf denkmalwerte Gebäude, die unfunktional scheinen. Die Bauten der Nachkriegszeit und auch die später gebauten müssen in die Erhaltdebatte miteinbezogen werden. Eine Katastrophe ist im Augenblick der Abriß der Bauten am Gendarmenmarkt. Ein Haus war ein historischer Wiederaufbau aus den fünfziger Jahren, das andere ein rohbaufertiger Wohnungsbau. Der Wert von Bauten zeigt sich vielfach erst nach fünfzig Jahren. Früher galten die Häuser aus der Gründerzeit als das allerletzte. Heute freut sich jeder, der darin wohnt.

Interview:

Uwe Rada / Rolf Lautenschläger