■ Beschäftigungsgipfel in Detroit ohne greifbare Ergebnisse: Ein Kessel Buntes
Für US-Vizepräsident Al Gore war schon der Diskussionsprozeß ein Erfolg. Der Mann muß entweder sehr bescheiden oder aber unglaublich naiv sein. Denn außer den erzkonservativen Briten hat aus Detroit niemand den Eindruck mitgenommen, bei dem großspurig angekündigten Beschäftigungsgipfel habe es sich um ein produktives Treffen gehandelt. Was dort an Maßnahmen in die Runde geworfen wurde, ruft unter Arbeitsmarktexperten höchstenfalls noch müdes Lächeln hervor. Billiglöhne, Technologieoffensive, Zinssenkungen, Einschränkungen der Sozialleistungen, lebenslange Bildung, Flexibilisierung, Deregulierung – ein Kessel Buntes, hilflos offeriert als Rezeptur gegen die festgefahrene Weltwirtschaft. Wohin sich retten nach der Havarie? Die Antwort kennen weder Kapitän noch Steuermann, geschweige denn die Passagiere.
Ein Ergebnis hat der Gipfel dennoch gebracht: Auch in Zukunft wird es keine gemeinsame Strategie der Industrienationen gegen die Massenarbeitslosigkeit geben. Clinton, der eine „Siegerwirtschaft“ (New York Times) geerbt hat, nutzte das Palaver geschickt zur Selbstdarstellung: Seit 1970 sind in den USA vierzig Millionen Arbeitsplätze entstanden, in Europa dagegen nur acht Millionen. Contract work lautet die Formel – wer Glück hat, kommt im wuchernden Sektor ungesicherter und schlecht bezahlter Leih- und Teilzeitarbeit unter. Auch in Europa wird man den Arbeitssuchenden bald alten Wein in neuen Schläuchen kredenzen. Die meisten der in Detroit diskutierten Rezepte, ob aus der neoliberalen oder keynesianischen Mottenkiste, gehen am Kern der Krise vorbei. Für die Auswirkungen der Doppelstrategie aus Produktionsverlagerungen ins Ausland und Produktivitätssteigerungen im Inland haben die Fachleute längst den richtigen Begriff gefunden: jobless growth. Was dies für die Politik bedeutet, ist klar: der Druck wird wachsen, gefährdete Industrien durch Subventionen und protektionistische Maßnahmen zu schützen. Das aber läuft auf die unseligen dreißiger Jahre hinaus.
Es ist höchste Zeit, sich nicht länger über untaugliche Rezepte den Kopf zu zerbrechen, sondern über jenes Gesellschaftsmodell nachzudenken, in dem man künftig leben will. Fortschrittsglaube und Ressourcenausbeutung haben schließlich den Lebensstandard gerade in den Industriestaaten höher gehoben, als er sein dürfte. Und die Nationalökonomie braucht künftig ein intelligenteres Betriebssystem als das jener Manager und Wirtschaftspolitiker, die mit dem Joy-Stick am liebsten den nächstbesten Konkurrenten niedermachen und dabei zugleich die Ressourcen mit in die Jagdgründe befördern würden. Erwin Single
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