: Fernsehfeierabend, schläfrig
■ Flotows TV-Oper „Martha“ im Stadttheater Bremerhaven
Im Zeitalter der Fernseh-Konsumenten, die sich zappelnd durch 30 Kanäle schaukeln, könnte da nicht auch ein Stadttheater so tun, als ob? Als ob die Bühne ein Bildschirm wäre und die Inzenierung ein Programm-Salat, angerichtet vom typischen Durchschnitts-Seher? Der fläzt sich bei der jüngsten Premiere in Bremerhaven lässig in Großmutters Sessel (am Bühnenrand aufgestellt), nimmt mehrfach Bier aus dem Kühlschrank und schaltet sich durch 5 Kanäle. Das Bremerhavener TV-Theater zeigt Friedrich von Flotows romantisch-komische Oper „Martha“: Darin wird zwar die Story nicht zertrümmert (ihre 18 musikalischen Nummern erscheinen in der richtigen Abfolge),jedoch: von einem Bild zum anderen wechselt das filmische Gewand, als hätte der Fernsehflaneur im Sessel den Kanal gewechselt.
Der mediale Gag gelingt da nur am Anfang: Zur überlangen Ouvertüre gibt es einen gleichlangen Vorspann, der die Namen sämtlicher Mitwirkender aufführt, einschließlich der Chor- und Extra-Chor-SängerInnen. (Nur die Technik-Crew wurde vergessen.) Im ersten Bild haben sich Lady Harriet, Ehrenfräulein der Königin, und ihre Freundin Nancy ins Ambiente des amerikanischen Film-Klassikers „High Society“ verlaufen. Obwohl sie im Hintergrund einen Swimming-Pool mit prachtvollem Ausblick ins „Paramount“-Gebirge besitzen, und die Lady mutig ins Becken hüpft, ist die Langeweile so groß, daß sie sich spaßeshalber auf dem Frauen-Markt von Richmond als Mägde verdingen. Sie lassen sich von zwei attraktiven Bauern auf ein Jahr kaufen, flüchten jedoch in der ersten Nacht aus ihrem Abenteuer und kehren nach einigem Hin und Her zu den beiden Männern zurück, die nicht nur Geld, sondern auch ihre Herzen an sie verloren haben.
Thomas Mayr (Regie) und Max Burger (Bild) jagen die Figuren der Klamotte aus dem Jahr 1847 von Bild zu Bild durch verschiedene Film-Sujets. Sie zitieren Robin Hood, den deutschen (Schwarzwald-)Heimatfilm, die drei Musketiere, den Wilden (Planwagen-)Westen und vergessen nicht die unvermeidliche Werbung (mit einem mehrfach wiederholten Trinklied aus der Oper). Daß der Fernseh-Zapper (in Gestalt des real existierenden Dramaturgen Guido Johannes Joerg) trotzdem gähnt und häufig einschläft, kann ein kritischer Wink sein: „Martha“ hat keine Chance mehr, als Stoff ernst genommen zu werden. Aber weil die Musik so süffig-schön ist und die leitmotivisch verwendete „Rosen-Arie“ ein Ohrwurm, der ans Herz rührt, lohnt die Wiederbelebung. Die erste Regie-Arbeit des Sängers und Ensemble-Mitglieds Thomas Mayr lebt vom guten Einfall, der die Schwächen in der Figuren-Führung sanft übertüncht.
Im heiteren Bildschirm-Theater zeigen sich Minako Futori als Lady Harriet und Kathrin Dineen als Nancy gesanglich von ihren besten Seiten. Denn wirklich ist es die Musik, die uns von „Martha“ bleibt, und weniger der Fernsehfeierabend des schläfrigen Dramaturgen.
Hans Happel
Weitere Aufführungen: 18.3., 23.3., 30.3., 3.4., 15.4., Großes Haus, Stadttheater Bremerhaven
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