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Scharfe Glatzen mit Zukunft

■ Gespräch mit den Vereinsmitgliedern der Medienwerkstatt Eyeland. Im Projekt „Orientexpress“ wurden junge Türken von jungen Ostlern aus Potsdam gefilmt

Eyeland ist eine von zwölf Medienwerkstätten, die 1988 als ein CDU-Renommierprojekt eingerichtet wurden. Arbeitslose Akademiker sollten geschult werden im professionellen Umgang mit Videotechnik und auf dieser Grundlage eine „bürgernahe und gesellschaftsrelevante“ Medien- und Bildungsarbeit durchführen. Eyeland drehte von Anfang an Dokumentationen, Videoclips und Spielfilme über und mit Jugendlichen. Die meisten dieser Werkstätten mußten wieder dichtmachen, als die laufende Finanzierung 1991 ausgelaufen war. Seitdem konnte Eyeland nur noch mit projektbezogenen Mitteln aus dem sogenannten „Experimentierfonds“ des Jugendsenats arbeiten, der aber 1994 ebenfalls gestrichen wurde.

Eine Landesstiftung für Jugend- und Familienprojekte, die ihre Mittel aus dem sogenannten Anti-Gewalt-Fonds „Jugend mit Zukunft“ erhält, wird in den nächsten drei Jahren der einzige Topf sein, aus dem kurzfristige Projekte finanziert werden können. Das Geld muß aber auf viel mehr freie Träger verteilt werden als bisher. Welche Experimente dann noch möglich sind, entscheidet sich Ende März.

taz: Die Medienarbeit von Eyeland war von Anfang an verknüpft mit der Dokumentation von gesellschaftspolitisch relevanten Themen: steigende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit von Jugendlichen. Wie sah das konkret aus?

Claudia Rhein: Die Videos, die wir gemacht haben zum Thema Jugendkultur, hießen „Kämpfen lernst du auf der Straße“ über Jugendgangs in Berlin 1991, dann „HipHop Berlin“, ein Musikvideo, dann ein Film über Fußball und seine Fans, „Dritte Halbzeit“, das ging auch über Hooligans, und schließlich „Scharfe Glatzen“, ein Film über linke, antirassistische Skins im Zusammenhang mit dem Ska-Festival in Potsdam. Das sind aber alles Koproduktionen mit anderen Gruppen, an denen Eyeland nur beteiligt war.

Das sind nun Filme über Jugendliche. Was habt Ihr mit Jugendlichen zusammen gedreht?

Claudia Rhein: Unser letztes Projekt, das großen Anklang fand, war ein Videoworkshop „Wie Bilder lügen können“ im Rahmen des Jugendfestivals „X 94“. Das war die praktische Umsetzung des Symposiums zu dem Thema „Manipulation in den Medien, das gleichzeitig in der Akademie der Künste stattfand. Dort haben wir auch gedreht. Es ging darum, wie man manipulieren kann mit diesem Medium, durch die Kameraeinstellungen, durch den Schnitt, durch den Einsatz von Musik.

Ihr macht auch Projekte zum Abbau rassistischer Vorurteile und zur Ost-West-Integration...

Barbara Kuhn: Ja, zuletzt den „Orientexpress“, ein Film, den eine Schulklasse von 25 Kindern, 13 Jahre alt, aus einem Neubaugebiet in Potsdam-Waldstadt unter unserer Anleitung gedreht hat über gleichaltrige türkische Jugendliche in Kreuzberg.

Rolf Kleine: Wenn Potsdamer Jugendliche nach Kreuzberg kommen, dann müssen sie sich genau überlegen, was sie machen mit der Kamera... Einfach nur die Plätze abschwenken reicht nicht. Sie wollen von den türkischen Jugendlichen was wissen, müssen Fragen stellen, Kontakt aufnehmen und bekommen gleichzeitig Distanz zu sich selbst.

Ihr habt auch gerade den ersten längeren Spielfilm gemacht, „Phosphoros“ mit dem Untertitel „Intergalaktischer Fremdenhaß“, ein Science fiction in der Zentralstelle für Asylbewerber. Wie kam es zu dieser Mischung aus Politik und Fantasy?

Rolf Kleine: Wir wollten auf diese Weise an einem aktuellen Thema arbeiten, daß den Jugendlichen dabei nicht der Spaß vergeht. Und sie haben mit unserer Hilfe ein Treatment entwickelt, das dann auch haargenau so realisiert worden ist. Obwohl ich es selber anders und kürzer lieber gehabt hätte. Aber da wurde abgestimmt. Interview: Matthias Schad

„Phosphoros“ wird am Sonntag um 14.30 Uhr in der Wilhelm-Förster-Sternwarte am Munsterdamm gezeigt.

Alle Filme und Dokumentationen werden von Eyeland auch als Videokassetten vertrieben (Adresse: Boddinstraße 8, 12053 Berlin, 624 15 12).

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