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Dafür gibt's keine Stadtpläne

Wo, bitte, geht's zum „Underground“? Einige Wegmarken liefert Steve Coleman, der renitenteste Vertreter des unabhängigen neuen Jazz  ■ Von Christian Broecking

Der Klarinettist Don Byron zählt ihn zu den Ausnahmepersönlichkeiten der amerikanischen Musikgeschichte; Kritiker bescheinigen dem von ihm begründeten Musikerkollektiv M-Base, die Generationsfolge im Jazz zu sichern; Cassandra Wilson und Greg Osby, seine Kumpels aus den Achtzigern, haben mittlerweile den Turm erreicht (zum Sprung in den Mainstream) – bloß er tut so, als wäre das alles nichts: Steve Coleman.

„Ich bin eher so'n Underground- Typ“, tiefstapelt der Altsaxophonist, Komponist und Bandleader beim Abendessen mit Pfefferminztee und chinesischer Bouillon zwischen Soundcheck und Konzert in Berlin. Doch verändert hat auch er sich. Anstelle seiner Krause glänzt nun eine Glatze. Nichts mehr da, wo er noch das Zuckerzeug „Afro Sheen“ reinschmieren könnte, das die Bienen über seinem Kopf zum Wahnsinn trieb – damals, als er noch im Park übte.

„Ich kam mir dabei vor wie Muhammad Ali“, erzählte er dem heutigen New York Times-Kritiker Peter Watrous, „du versuchst sie zu treffen, sie weichen aus. Ich dachte dabei über die Musik nach, und mir fiel auf, daß Musiker meistens die Tonleitern rauf- und runterspielen. Niemand spielt so, wie die Bienen fliegen. Da gibt's dann noch das, was wir hanging nennen: wenn Musiker auf einer Note stehenbleiben, wie zum Beispiel John Coltrane, und dabei einen Achterrhythmus auf eine hippe Art auflösen. Die Bienen machen das auch, aber auf einem viel fortgeschritteneren Level. Ich wollte von da an melodisch wie auch rhythmisch spielen, wie die Bienen fliegen.“

Mit solchen Ansprüchen avancierte der heute 37jährige Steve Coleman zum Protagonisten des Indie-Jazz – vor allem, als er 1987 von Chicago nach Brooklyn siedelte und dort M-Base (Macro-Basic Array Of Structured Extemporizations) gründete. Einen „eigenen“ Sound hatte das Musikerkollektiv jedoch nie, wie er heute betont. „Alles Medienbullshit“, fügt er schnell hinzu. Womit wir auch schon bei seinem Lieblingsthema wären. „Wenn wir von M-Base sprechen, meinen wir eine Gruppe von Leuten, die einen gemeinsamen Zugang zur Musik und ähnliche Ansichten über die gesellschaftlichen Bedingungen kreativer Musikproduktion haben. Und innerhalb dieser Gruppe gibt es Fluktuation, Bewegung und Entwicklung. Daß meine Platten M- Base repräsentieren würden – so statisch haben wir nie gedacht.“

M-Base sei nun einmal kein Club mit Mitgliedsausweisen – eher eine Straße voller Musik, die man gemeinsam entlanggeht. „Wir verstehen Musik nicht als Unterhaltung, sondern als Kommunikation. Wir kommunizieren mit dem Publikum über das, was wir erleben, nichts Ausgefallenes oder Eingebildetes, eher Alltagserfahrungen, die wir über das Medium Musik transportieren. Wir machen folglich auch keine nur politische Musik, manchmal kommentieren wir unhaltbare gesellschaftliche Zustände, manchmal machen wir auch einfach nur Spaß.“

Und trotzdem: Wer M-Base verstehen will, müsse Steve Coleman verstehen, resümierte einst Peter Watrous, Coleman, den „Kung-Fu-Freak, James-Brown- Fan, HipHop-Fanatiker, Charlie- Parker-Verehrer, Erfinder neuer Strukturen, Computerexperten und überragenden Altsaxophonisten“. Apropos Kung Fu: Der Name der neuen Band, Five Elements, kommt von einem speziellen Kung-Fu-Schlag. 1981 gegründet, fünf Jahre Kellerband, schwarznationalistische FreeFunkband der Achtziger, ist sie heute das Aushängeschild jener M-Baser, die sich noch underground wähnen.

Wie Coleman selbst eben: „Ich komme von der South Side Chicagos und habe kaum Weiße zu Gesicht bekommen, bevor ich 18 war. Die anderen in meiner Band sind in ähnlichen Gegenden aufgewachsen wie ich, Gene Lake in St. Louis, Reggie Washington in New York. Wir kommen aus den All- black-Bezirken der großen Städte, das ist unsere Kultur, und das reflektiert unsere Musik. Es ist doch normal, daß man sich mit Leuten zusammentut, die ähnliche Lebenserfahrungen haben, oder?“

Gut, was aber genau heißt „Underground“ – jenseits solcher Unmittelbarkeiten? Seine bereits fünfte Major-Platte, „The TAO of mad phat FRINGE ZONES“, eine fulminante Live-CD, in Anwesenheit von 40 geladenen Freunden in einem Brooklyner Studio eingespielt, erschien kürzlich immerhin bei der Bertelsmann-Gruppe. „Als Underground bezeichne ich jene Leute, die sich – sei es aus Gründen gesellschaftlicher Verweigerung oder purer Langeweile – außerhalb sogenannter Trends bewegen. Leute, die vielleicht nur deshalb den nächsten Schritt wagen, weil sie mit dem vorigen noch nicht in die Falle des Marktes tapsten und hängenblieben. Underground ist am ehesten durch die Abstinenz anderer zu charakterisieren: Nur wenige Leute wissen davon, die Presse nimmt keine Notiz, und Geld ist kaum im Spiel. In New York in irgendsoeinem lausigen Dock-Schuppen auftreten – das ist wirklicher Underground. Wer nicht dazugehört, wird solche Treffpunkte nicht ausfindig machen, dafür gibt's keine Stadtpläne.“

Vielleicht deshalb jetzt auch die Glatze, zu der er sich wortkarg gibt: Tabula rasa. Für Aufsehen sorgt sowas ja, etwa auf dem Jazzfestival in Saalfelden letztes Jahr, wo Coleman mit seiner neuen Band Metrics auftrat. Die so neu eigentlich gar nicht war. Metrics ist ein Jazz-Rap-Fusionprojekt, das Colemans Five Elements gemeinsam mit dem Vokalisten und Trompeter Mark Ledford und den Washingtoner Hardcore-Teenie- Rappern Malik Blunt und Black Thought von The Roots vorführten. „Mit den Roots haben wir lediglich etwas ausprobiert, und das ist zur Zeit noch Underground. Es gibt zwar ein Tape von uns, eine Platte ist jedoch noch nicht fertig. Sie wird möglicherweise auf dem FunkMob-Label veröffentlicht, das Greg Osby und ich vor kurzem gründeten, um kreative Tanzmusik zu produzieren.“

Ob er damit nicht doch den Popmarkt anbaggern will? Oh Gott, mal wieder so ne typische Medienfrage. „Na klar nicht“, stöhnt Coleman. In seinen Augen ist Jazz-HipHop à la Gang Starr, aber auch das, was von Kollege Greg Osby kommt, viel zu trendy. „Ich mache nicht Musik, um einen Hit zu landen. Aber wenn die Medien Jazz- HipHopper wollen, dann machen sie einen eben dazu. Das ist die Politik der Plattenindustrie, sonst nichts. Ich halte nichts davon, den 60er- und 70er-Jahre-Sound aufzuwärmen, wie beim Acid-Zeug etwa, wo man doch vornehmlich mit dem Wiedererkennungseffekt dealt. Ein bißchen Crusaders – wow! –, etwas James Brown – yeah! –, und das war's dann fast schon.“

Coleman legt Wert auf die Feststellung, daß er ein Konzert vor 15 Leuten nicht gegenüber einem Auftritt auf dem Berliner JazzFest abwerte, wo vielleicht 2.000 anwesend sind. Es hängt alles davon ab, was für Ziele man hat – „ich jedenfalls mache bereits das, was ich will“, betont er, „die meisten Musiker heutzutage wollen doch bloß reich werden, insbesondere, seit Wynton Marsalis die Bühne betrat. Viele jüngere Musiker reden den ganzen Tag über Manager, Agenturen und Plattenfirmen – sowas kann einen auffressen.“

Mit solch einer Sichtweise gilt man bei Kollegen schon mal als verrückt. „Eddie Harris zum Beispiel grinst über meine ,Künstler- Haltung‘, wie er das nennt. Das sei so dumm, daß es noch nicht mal Brot auf den Tisch bringe. Vielleicht hat er Recht damit, wenn er sagt, daß ich das auch kapiert haben werde, wenn ich erstmal solange dabei bin wie er. Mag sein, wer weiß? Aber solange man es schafft, dem Image vom hippen Underground-Typen gegenüber Distanz zu wahren, ist der Druck aushaltbar. Ich bin ein Musiker, kein Führer einer Bewegung.“

Und wie lebt man so damit? M- Base wohnen, mehr aus Not denn aus Neigung, in Brooklyn – Wohnungen in Manhattan konnten sie sich einfach nicht leisten. Coleman selbst hat heute ein eigenes Häuschen in Allentown, Pennsylvania. Es liegt zwischen Manhattan und Philadelphia, ist sehr geräumig, und er kann angeln gehen, wann er will. Angeln inspiriert ihn, schmunzelt er. Und ein Stück Land in Afrika kaufen würde er gern, so wie Randy Weston das damals gemacht hat. Und nach Ghana fahren – nicht immer nur von den afrikanischen Einflüssen in der Musik reden, ohne je dort gewesen zu sein. Weston, erzählt Coleman, hat Wohnungen in Brooklyn, Marokko und Frankreich. Ed Blackwell – noch so einer, der immer auf diesem Sprung gelebt hat. Mit mehreren Wohnsitzen ist es auch nicht so aufwendig, mit anderen Musikern in Kontakt zu kommen, voneinander zu lernen. Sein Freund, der Trompeter Graham Haynes zum Beispiel, wohnt jetzt in Paris. Dort will er eine ganze Szene afrikanischer Musiker entdeckt haben, die stark von M-Base beeinflußt sind und an neuen Konzepten experimentieren. Das nennt Coleman heute die Zeichen der Zeit.

Steve Coleman And Five Elements: „the TAO of mad phat FRINGE ZONES“, RCA NOVUS/BMG 01241631602.

Steve Coleman, Robin Eubanks, Greg Osby, Cassandra Wilson: „Flashback On M-Base“, JMT 514010-2.

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