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Die Musealisierung der sumpfigen Mitte

Die Berliner Museumsinsel, noch heute Symbol für den architektonischen Sprung ins 19. Jahrhundert, war nie etwas anderes als eine Ausstellungsvision. Das gestrige Ergebnis des Bauwettbewerbs soll eine traditionelle Konzeption wiederbeleben.

Die Berliner Museumsinsel ist noch immer ein Ort für Träume. Die Inszenierung des Erhabenen ist dem musealen Sarkophag für antike Skulpturen – frühgeschichtliche Sammlungen und Gemälde zwischen dem Palast der Republik und der Spree – durch den Verfall zwar abhanden gekommen, dennoch begegnet die preußische Klassizität jedem monumental und rußgeschwärzt, abgeschabt und ruinenromantisch.

Der gestern vorgestellte Entwurf für den Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Neuen Museums sowie zur Errichtung von Neubauten für die Museumsinsel träumen den klassizistischen Ort weiter. Die Planungen des italienischen Architekten Georgio Grassi leben von der Sehnsucht nach dem historischen Ideal. Der zerschossene Bau erhält seinen nördlichen Flügel zurück, wobei die „verlorenen Teile an der Außenhaut nicht kopiert werden, sondern der Rhythmus der dreigeteilten Wand, die Abfolge der Fenster und der Gebrauch des Materials die Rekonstruktion bestimmt“, wie Wolfgang Wolters, Denkmalpfleger und Mitglied der Jury, betonte. Die Reparatur des langrechteckigen Hauses, dessen innere, einst phantasmagorisch inszenierte Säle im griechischen und ägyptischen Stil lagen, habe die „Spuren der Vergangnheit ernst genommen und sich wenig mit einer eigenen Formensprache aufgedrängt“. Vor das Neue Museum plazierte Grassi einen schmalen zweigeschossigen festungsartigen Neubau, der mit einem Verbindungstrakt an den Altbau anschließt. Für den Ehrenhof des Pergamonmuseums gestaltete der Architekt einen Eingangspavillon, der sich als Flachbau vor die Halle legt. Den offenen Zugang des großen Museums schloß Grassi mit einer Reihe von Bäumen ab. Zum nördlichen Bode-Museum schuf er einen Verbindungsbau, das südlich gelegene Alte Museum wird unterirdisch angedockt.

Das Ergebnis des Wettbewerbs, zu dem 16 international anerkannte Architekten eingeladen waren, darunter Hans Kollhoff, Axel Schultes und Joseph Paul Kleihues (Berlin), Frank Gehry (USA), David Chipperfield (London) und Francesco Venezia (Neapel), wurde von Wolf-Dieter Dube, Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, kritisiert. Der Grassi-Entwurf, so Dube, biete eine „Möglichkeit, die sich entwickeln läßt“. Die Planung habe „Schwachpunkte“, wie etwa der zu kleine Eingang, der die zu erwartenden Besuchermassen nicht aufnehmen könne. Auf die gewünschten neuen Besonderheiten der Nutzung wie für den „Kurzrundgang“ – vorbei am Pergamonaltar, dem Tor vom Millet und der Büste der Königin Nofretete – gebe der Entwurf keine ausreichde Antwort.

Die Chance, im Wettbewerb zwischen dem historischen Ideal und der Gegenwart zu vermitteln, wurde nicht genutzt. Es scheint, als ob das Zeitalter der Reproduzierbarkeit die kritischen Ansätze von Rudolph Schwarz oder Hans Döllgast, die Alt-Neu-Gegensätze in den Architekturen von Gottfried Böhm, Karljoseph Schattners oder Carlo Scarpas vergessen machen will. Eine rückwärtsgewandte Hygiene, die zwar neu, aber doch nicht modern ist, sucht die Nostalgie zu revitalisieren und Altem nachzuträumen.

Sicher, die Berliner Museumsinsel bildete im Stadtgrundriß immer den Ort für Träumer. In der Architektur sollte sich das Ideal einer vorgestellten Antike spiegeln, deren bauliche Pathosformeln zu Chiffren bürgerlicher Baukunst umgedeutet wurden. Der Rollenwechsel antiker Dreiecksgiebel und korinthischer Pilaster zu den monumentalen Säulenhallen des Alten Museums von Schinkel entgrenzten die romantischen und idealen Baukörper aus der verdichteten Stadtlandschaft. Schinkels und August Stülers Museen für die preußische Residenz schufen ein bauliches Bild, das die Architektur selbst zum Exponat in der Stadtmitte machte. Die Museumsinsel als Fluchtinsel, auf der den Künsten und Mythen gleichermaßen nachgeträumt werden kann, deklamierte förmlich das kosmische Weltbild der Vollkommenheit von der antiken bis zur romantischen Zeit. Als „Repräsentationsort geschichtlicher Werke“, betonte der Kunstwissenschaftler Ernst Badstübner, „sind die Bauten schon selbst zum Sachzeugnis der Geschichte geworden“.

Die Museumsinsel war niemals etwas anderes als eine Ausstellungsvision. Planung für Planung wurde die sumpfige Insel in der Mitte Berlins musealisiert. Maßstab und Dimension der Bauten hoben sich gewaltig im Raum, als ginge es um den Entwurf von antiken Palästen. Schinkels Altes Museum (1824 bis 1830) für die Skulpturen- und Gemäldesammlung bedeutete nichts Geringeres als das Gegenstück zum benachbarten Schloß. Die Idee einer monumentalen Anlage setzte sich fort in den Planungen Friedrich August Stülers für die „Gestaltung einer Freistätte der Kunst und Wissenschaft“ als Akropolis-Vision: Die Nationalgalerie und das Neue Museum überragten „als Gesamtkunstwerk“ die Stadtmitte, denen sich das Kaiser-Friedrich-Museum und das Pergamonmuseum nach der Jahrhundertwende anglichen.

Mit dem Entwurf gewinnt man den Eindruck, als sollten die zentralistischen Museumsvisionen wieder aufgelegt werden. Nicht nur die Sammlungen werden konzentriert, die Rolle der Berliner Museumslandschaft selbst schnurrt seit dem Fall der Mauer auf das Zentrum zusammen. „Der Wiederaufbau des Neuen Museums“, erklärte Dieter Dube, „war immer ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Museumskonzeption. Diese Konzeption sieht für die Museumsinsel eine Nutzung im Anschluß an die Tradition vor.“ Die Gravitationskräfte drohen die dezentralen Strukturen der Berliner Museumswelt an „entscheidenden Stellen aufzulösen“, fürchtet der Berliner Kunsthistoriker Helmut Börsch-Supan, die an wilhelministisches Imoniergehabe statt auf Verstehen von Geschichte und Kunst abzielen. Die Dahlemer Museen werden die alte Malerei verlieren, die Galerie der Romantik im Charlottenburger Schloß wird 1998 in die Nationalgalerie umgehängt. Die Ägyptische Sammlung mit der Büste der Nofrete zieht von Schinkels Pavillon an der Schloßstraße in das Neue Museum. Nur der Kunst der DDR bleibt die Dezentralität: Ihre Sammlungen, bis zum Mauerfall im Alten Museum untergebracht, finden kein Zuhause und sind über die Stadt in den Depots verstreut. Rolf Lautenschläger, Berlin

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