: Quote am Ende? Quote am Anfang?
■ Soll die geschlechtsdifferenzierende Quote - gerade erst eine „historische Sekunde“ alt - beerdigt werden, bevor sie überhaupt erprobt ist? Ein Plädoyer der Feministin und Rechtsanwältin Jutta Bahr-Jendges für die aktive Nutzung des Rechtsapparates
Wie kann ich als Feministin eine reine Gleichstellungspolitik ablehnen und doch gleichzeitig Quoten fordern? Wie ich diesen Widerspruch auszuräumen gedenke, wurde ich gefragt. Nun – diesen Widerspruch auszuräumen, ist nicht angesagt: Auf der Suche nach dem Weg zu Geschlechterdemokratie sind Frauen gewohnt, in Widersprüchen zu denken, zu handeln und zu leben. Frauen unternehmen seit langem schon und ständig wieder Grenzgänge: die betreffen die ideologiekritische Betrachtung traditioneller Leitbilder für Frauen ebenso wie das Aufzeigen neuer Lebensweisen als Mosaiksteine neuer symbolischer Ordnung. Dabei befinden Frauen sich ständig im widersprüchlichen und widerspenstigen Wechsel zwischen „Einmischung“ oder/ und „Verweigerung“. Sie wissen dabei, daß sie in alte oder neue (auch selbst gestellte) Fallen männlicher Ordung geraten können.
Die Forderung nach der Frauenquote, die die strukturelle Diskriminierung von Frauen kompensieren soll, ist gerade eine „historische“ Sekunde alt. Sie hat praktisch erst begonnen und ist überhaupt noch nicht erprobt. Doch schon wird um das Ende der Quote diskutiert, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem selbst die blassesten Forderungen nach Anti-Diskriminierungsregeln in einer neuen Verfassung nur in Sprechblasen endeten.
Zugegeben, besonders hinreißend finde ich Quoten nicht, ich empfinde sie auch nicht als Allheilmittel. Manche Quotenfrau ist mir als Feministin subjektiv sowohl Ärgernis wie Anlaß zum Gähnen. Dennoch ist die Quote für mich schlicht unverzichtbar. Kein einigermaßen kluger Mensch würde heute bestreiten, daß Frauen in unserer Gesellschaft vielfach benachteiligt sind. Zu deutlich sind die Fakten.
So ist meine subjektive Be- und Entwertung von Quotenforderungen wie manchen Quotenfrauen elitär und auch idealistisch: Weil ich, weil einige Frauen sich mit einigem Verstand, Durchsetzungsvermögen, gegebenenfalls ständischem Erbe oder sonstigem glücklichem Zufall individuell durchsetzen, fällt nicht dem Geschlecht der Frauen dieser Erfolg zu.
Frauen mit individuellem Durchsetzungsvermögen gab es zu allen Zeiten. Sie werden entdeckt, je mehr Frauen über Frauengeschichte forschen. Eine Verallgemeinerung weiblichen Erfolges gibt es jedoch nicht. Bisher war und ist den - wenigen - Frauen auf dem sichtbaren öffentlichen Weg des Erfolgs klar, daß sie zumindest besser sein mußten als die männlichen Konkurrenten. Oder zum Ausgleich jedenfalls anders, irgendwie besonders: entweder besonders angepaßt an männliche Erwerbsrollenmuster oder zu dem Einsatz besonderen weiblichen Charmes bereit. Sie mußten also zusätzliche Leistungen erbringen, um aus der nur formal gleichen Chance - sprich: Sprungschanze - die männliche Norm, den Durchschnitt zu überflügeln.
Wenn auch zu befürchten ist, daß Quotierung weniger in ihrer direkten Anwendung zu einer zahlenmäßig relevanten Verbesserung der Chancen von Frauen beitragen kann, sondern mehr durch ihren symbolischen Wert, so kann gerade letzteres ausschlaggebend sein.
Wir brauchen Quoten, um Ungleichheiten in Lebensbedingungen anzugreifen und zu verändern. Formale Rechtskämpfe haben bekanntermaßen einen prozeßhaften Charakter zur Änderung der Rechtslage als auch des Rechtsbewußtseins. Die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung zeigt dies deutlich. „Alle Menschen sind gleich“ – in dieser Sprechblase liegt die Chance für Frauen, ihre Beteiligung am Recht und Teilhaben am öffentlichen Leben einzufordern. Erfolg stellt sich jedoch nicht durch Appelle ein. Appelle haben bei Machthabern nur eine zufällige Wirkung und sind zudem abhängig von deren Verständnis und Sympathie. Das Betteln um Verständnis, Gehör und Gnade auf der anderen Seite steht dem entgegen. Die Geschichte eines Appells ist immer die von Demütigung und Demut.
Die Rechte von Frauen als individuelle Forderung einzelner auszugestalten, hilft nicht in einem Rechtsstaat, der die Macht von Männern über Frauen institutionalisiert hat: neutral, abstrakt, herausgehoben, aber alles durchdringend. So beschreibt es die amerikanische Rechtswissenschaftlerin und Rechtspolitikerin Catherine Mac Kinnon. Die Diskriminierung von Frauen liegt darin, daß das Recht seinen allgemeinen Gültigkeitsanspruch nicht einlöst. Recht nimmt die Lebenswirklichkeit der weiblichen Bevölkerungshälfte nicht wahr. Es orientiert sich an den Lebensverhältnissen der männlichen Bevölkerung. Gleichheit, Gleichbehandlung und Gleichberechtigung ist für Frauen nur um den Preis ihrer Angleichung an männliche Lebensmuster zu erreichen. Es sei denn, es gelänge, anderen weiblichen Lebensmustern Gestalt zu geben: durch eine Ausgestaltung anderer normativer Maßstäbe und eben auch durch geschlechtsspezifische Quotierung.
Bei der Quotenforderung geht es aber um mehr als nur die Herstellung individueller Rechte und Berechtigungen. In Mehrheitensystemen werden Geschlechterdiskriminierung, Sexismus oder auch Rassismus zum individuellen Problem. Und Recht reagiert darauf oft nur mit individuellem Schutz, nicht aber mit einem gruppenbezogenen Antidiskriminierungsrecht.
Hier bietet uns die vielfältige Funktion von Recht eine Chance. Die Rechtsfunktion beschränkt sich nämlich nicht darauf, nur instrumentell, repressiv und responsiv (d.h. nur bestehende Seinsformen regelnd) zu sein, sondern ist gleichzeitig auch gestalterisch und symbolisch. Minderheiten haben gelernt, diesen Wert von Recht zu nutzen, da sie in der Gesellschaft eben noch keine andere Macht haben, keine gleiche Berechtigung und keine gleiche Bewertung erfahren. Frauen sind im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zwar quantitativ zwar keine Minderheit, sehr wohl aber im gesamten Bereich von Arbeit und Politik. Soziale Gerechtigkeit und Frieden lassen sich in einem Mehrheitensystem nur mit Hilfe eines Minderheitenschutzes herstellen. Die Quote ist da nur eine Form kompensatorischer Regelungen.
Wir leben in einem Gesellschaftssystem mit einem dichten Netz von Rechtsregelungen für jede Bagatelle. In angelsächsischen Gerichten könnte eine Klägerin ausreichen, um das allgemeine Recht zu ändern. Dort könnte auf dem individuellen Weg, der anschließend durch das „common law“ verallgemeinert wird, eine Innovation der Geschlechterdemokratie gültig werden. Im Gegensatz dazu wird unsere Rechtsordnung zuvörderst durch Gesetze strukturiert. Das dürfen Feministinnen in ihren Kämpfen für selbstbestimmtes Leben und Arbeiten, Gleichheit und Geschlechterdemokratie nicht leugnen.
Auch andere Blickwinkel auf die deutsche Staats- und Gesellschaftsstruktur zeigen die Notwendigkeit der Rechtsforderung nach geschlechtsdifferenzierenden Quoten. Deutschland zeichnet sich durch patriarchale Nationalstaatlichkeit mit zwei Wurzeln aus. Da ist erstens die Aufklärung mit ihrer scheinobjektiven Sachlichkeit. Sie ist nichts anderes als eine Orientierung an männlichen Mustern. Und zweitens gibt es das verheerende Erbe der deutschen Romantik: nämlich Nationalismus und Patriotismus mit ihren faschistischen Konsequenzen.
Wir leben in einem Sozialstaat, der ein konsequenter Gesetzesstaat ist. Als solcher ist er grundlegend institutionell und m.E. immer noch ständisch strukturiert, selbst wenn er liberale Ideologien vor sich herträgt. Nehmen wir die Ideologie vom „Selfmade Man“, nach der aus jedem Menschen etwas werden kann. Sie basiert in Wirklichkeit auf einem gruppenspezifischen „Boys network“. Die Ideologie von der „Selfmade-Frau“ dagegen trägt nicht weit. Die ungebrochen ständischen Muster reichen weit und begründen sich allemal in allgemeinem institutionellen Denken. Sie stellen sich dar in Parteien, Tarifparteien, Kammern, Grupen, Paaren. In diesen Mustern hat ein Mann als traditionelles Rechtssubjekt noch Platz, der Definitions- und Entscheidungsträger im Muster dieses Netzes ist. Der Subjektstatus der Frau ist jedoch viel zu neu, als daß er schon Gestalt und Wirkung in diesem Netz haben könnte. „Die Selbständigkeit der Frau kann nicht soweit gehen, daß sie allein entscheidet“ (so folgerte gar Rita Süßmuth noch in der Abtreibungsdebatte der achtziger Jahre) – das ist die entscheidende Folgerung.
Eine weitere historische Hypothek belastet die Kämpfe der Frauen: die weitgehende Spaltung zwischen privat und öffentlich. Sie ist Kennzeichen und Schuzt des Bürgertums und des bürgerlichen Staates, in dem die „Frauenbereiche“ Ehe und Familie privat geblieben sind. Die schützt der patriarchalische Staat einerseits. Andererseits läßt er die Frauen schutzlos, weil er dort auf sein Gewaltmonopol verzichtet und diesen Bereich rechtlichen Regelungen entzieht. (Das betrifft insbesondere die Vergewaltigung in der Ehe.) Dies hat für Frauen die ungeheuere Konsequenz, daß sie weiterhin unsichtbar sind.
Bedauerlicherweise können wir Feministinnen historisch feststellen, daß die europäische Aufklärung mit der Deklaration der Menschenrechte eher eine Verschlechterung der Geschlechter-Demokratie gebracht hat. Die Aufklärung in ihrer ausschließlich männlichen Prägung hat ebenso wie die Romantik – mit ihrer Idealisierung von Bürgertreue und Nationalstaat – bewirkt, daß der männliche Standpunkt die bürgerliche Gesellschaft unter dem Deckmantel eines objektiven Standards dominiert.
Unter seiner Ägide beherrschen Männer Frauen und Kinder: also drei Viertel der Welt. Mit diesem Maßstab wird gesellschaftliche Diskriminierung als Gleichbehandlung im Recht deklariert. .
Was wir dabei lernen können ist, daß Recht ein reales Moment innerhalb des gesellschaftlichen Prozesses ist und ein lebendiges Instrumentarium. zwischen Leben und Recht. So ist schlicht voreilig zu behaupten, daß Frauen mit Frauenrechtsforderungen z.B. nach Quotierung nicht gewinnen könnten. Oder daß dies nicht funktionieren werde. Eine systematische Praxis der Geschlechterdemokratie gibt es bislang nicht. Wir wissen, daß Männer ihre Macht nicht freiwillig geteilt haben und wir sehen auch keine Ansätze, daß sie es freiwillig tun werden. Die Fortsetzung der männlichen Stände ist sichtbar im „Boys Network“. Ersichtlich haben auch die USA trotz einiger gelungener Versuche besserer Geschlechterdemokratie keine weibliche Präsidentin hervorgebracht – und niemand von uns wird bezweifeln, daß diese Rolle einen immensen symbolischen Wert für die Verteilung der Macht in der Gesellschaft hätte. Zumindest solange, bis die Macht dann wirklich verteilt ist. Und da ich nicht glaube, daß sich kompetente Frauen in unserem Land durchsetzen können, fordere ich die Quote solange, bis jede durchschnittliche Frau, ob ich sie mag oder nicht, mit jedem durchschnittlichen Mann konkurrieren kann.
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