"Keineswegs aburteilen"

■ Gespräch mit Beate Pinkerneil über ihren Film zum "Fall christa Wolf"

Zwei Tage nach dem 65. Geburtstag von Christa Wolf zeigt das ZDF am Sonntag um 23.05 Uhr den Film „Die Intellektuellen und die Macht – Der Fall Christa Wolf“. Neben Günter Grass sowie den Kritikern Fritz J. Raddatz (Die Zeit) und Frank Schirrmacher (FAZ) beziehen darin vor allem ostdeutsche Intellektuelle Stellung zu der wegen ihrer Stasi-Tätigkeit (1959-62) sowie der späten Veröffentlichung des Buches „Was bleibt“ (1990) scharf kritisierten Schriftstellerin. Die taz sprach mit der Autorin des Films, der ZDF-Literaturredakteurin Beate Pinkerneil.

taz: Haben Sie bei Ihrer Recherche etwas Neues zum „Fall Christa Wolf“ gefunden?

Beate Pinkerneil: Christa Wolf scheint mir eine repräsentative Figur für das Verhalten von Intellektuellen in totalitären Systemen zu sein. Sie hat einen Weg gewählt zwischen vorsichtigem Taktieren mit den Mächtigen und ebenso vorsichtiger Kritik. Ich glaube, die Ursache für diesen schwankenden Kurs, der in der deutschen Geschichte typisch ist, liegt darin, daß der Begriff der Freiheit bei diesen Intellektuellen negativ besetzt ist.

Sie lassen vor allem zehn Zeitzeugen reden und kommentieren selbst nur selten.

Ich wollte keineswegs aburteilen. Das steht denen, die nicht in der DDR lebten, auch gar nicht zu. Aber um so wichtiger ist es zu zeigen, daß Christa Wolf immer ambivalent gewesen ist. Sie war die moralische Autorität, sie hat sich der sozialistischen Idee verschrieben, und dieser Sozialismus hatte für sie quasi eine religiöse Funktion. Irgendwann hätte sie erkennen müssen, daß sie die Augen vor den Realitäten verschließt. Daß sie den LeserInnen ihrer Bücher Denkmuster nahebringt, von denen sie selbst nicht mehr überzeugt ist, war ihr entscheidender Fehler.

Bis auf Auszüge alter Interviews verzichten Sie darauf, die Hauptperson persönlich zu Wort kommen zu lassen. Warum?

Ich hätte sie mit den Äußerungen meiner Interviewpartner konfrontieren können. Das wäre dann aber ein zweiter Film geworden. Außerdem scheint mir Christa Wolf noch nicht so weit zu sein, das Thema „Die Intellektuellen und die Macht“ zu reflektieren. Das zeigt auch ihr neues Buch „Auf dem Weg nach Tabou“.

Soll heißen, sie verharrt nur auf alten Positionen?

Sie trauert der verschwundenen DDR nach. Sie trauert auch ihrer verschwundenen Rolle nach, das moralische Gewissen dieses anderen deutschen Staates gewesen zu sein. Ich glaube, sie hat gar nicht begriffen, welchen fatalen Bankrott dieses System gemacht hat, ideologisch und ökonomisch.

In Ihrem Film äußern sich Leute wie Jürgen Fuchs, Heiner Müller, Günter de Bruyn, Bärbel Bohley, selbst Pfarrer Schorlemmer auffallend distanziert, machmal offen kritisierend über Christa Wolf. Hat es einen Sinneswandel gegeben oder brechen nun lange gehegte Vorbehalte auf?

Ich glaube nicht, daß es diese Vorbehalte schon vorher gegeben hat. Ich glaube, daß alle, die an dem Film mitgewirkt haben, die Rolle Christa Wolfs gegenwärtig nicht verstehen. Keiner versteht den radikalen Rückzug aus der Öffentlichkeit. Keiner versteht, daß sie zu kritischen Fragen, die ihre Person betreffen, schweigt. Es gibt vor allem sehr starke Vorbehalte von Dissidenten. Es gibt keinen, der Christa Wolf jetzt würdigen wollte: Biermann nicht, Sarah Kirsch nicht, Kuntze nicht, Kunert nicht. Und das sind alles Leute, zu denen sie enge Kontakte hatte, mit denen sie vorher teils befreundet war. Interview: Thomas Gehringer