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Simulation eines Ereignisses

Mein erstes Marl. Investigative Notizen zum 30. Adolf-Grimme-Preis  ■ Von Klaudia Brunst

„Und wieso schaust du dir das Ganze nicht einfach im Fernsehen an?“ fragte mich meine Mutter erstaunt, als ich – geplagt von der neunstündigen Autofahrt – meine Reisetasche bei ihr abstellte. „Weil man Aug' in Aug' dabeisein muß, wenn die Preisträger vor Rührung zusammenbrechen, weil sie gerade erfahren haben, daß sie den Adolf- Grimme-Preis in Gold gewonnen haben“, versuchte ich meine Mutter über den Sinn meiner Reise aufzuklären. „Ach ja, richtig“, ließ sie sich aus der Küche vernehmen, „den Artikel aus der Neuss-Grevenbroicher habe ich dir schon ausgeschnitten. Daß der ,Große Bellheim‘ einen goldenen Grimme bekommen hat, finde ich ja gut. Aber an einen Film von Bernd Schadewald namens ,Schicksalsspiel‘ kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.“

In diesem Moment zerplatzte mein Glaube an den deutschen Journalismus. Hatte mir Grimme- Chef Lutz Hachmeister nicht glaubhaft versichert, daß in diesem Jahr der wichtigste deutsche Fernsehpreis nach dem streng geheimen „Oscar-Prinzip“ verliehen würde, um die Spannung zu steigern? Und nun hatte am Morgen der feierlichen Verleihung im Stadttheater zu Marl jede popelige Lokalzeitung schon alle Gewinner preisgegeben. Warum in aller Welt hatte ich dann die weite Reise in die Provinz auf mich genommen? „Das ist trotzdem was ganz anderes, wenn man selbst dabei ist“, versuchte ich den Aufwand wenigstens vor meiner Mutter zu rechtfertigen. „Vor Ort erfährt man immer mehr. Investigativen Journalismus nennt man das. Und Marl ist auch so eine Art Kontaktbörse. Da trifft man sich und macht Geschäfte.“ Das könne ja sein, meinte meine Mutter keineswegs überzeugt, aber in diesem Fall sollte ich meine Jacke besser nicht ausziehen, weil man anderenfalls die Sitzfalten in meinem Hemd sehen würde. „Da bekommen die Geschäftemacher ja gleich einen schlechten Eindruck von dir.“

Mit diesem guten Rat machte ich mich auf den Weg nach Marl, in den Gral des deutschen Qualitätsfernsehens. Und wirklich, als ich dort ankam, war das geschäftige Treiben schon groß. In der Vip- Lounge, dem Theater-Restaurant, hatten sich schon alle großen Fernsehsender versammelt, um die vielen Preisträger zu interviewen: Rainer Langhans stand da mit seinen „Schneeweißrosenrot“-Zwillingen und versuchte die Kameramänner zu einem fleischlosen Leben zu bekehren, Rüdiger, der kleine Vampir, hielt sich am kalten Buffet schadlos, und als mir Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin und Schirmherrin der Veranstaltung, salbungsvoll zulächelte, wußte ich endlich wieder, warum ich gekommen war.

Mit 415 anderen geladenen Gästen genoß ich die fast dreistündige festliche Gala im überheizten Theaterparkett, zog meine Jacke nicht aus und lehnte mich gelassen zurück. Daß die Jury vor allem die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit Preisen bedacht hatte, ließ sich nun sowieso nicht mehr rückgängig machen, auch nicht die wenig zukunftsweisende Entscheidung, nach vier Jahren nun plötzlich Jürgen von der Lippe für „Geld oder Liebe“ auszuzeichnen. An Edgar Reitz' „Zweiter Heimat“ war man wohl ebensowenig vorbeigekommen wie an Heinrich Breloers „Wehner“, der WDR- Hausproduktion, die Pars pro toto das kreative Potential der Öffentlich-Rechtlichen unter Beweis stellen sollte. Thomas Carle, erfolgreich mit seiner leichtfüßig erzählten Geschichte um die Fahrradsucht „Männer auf Rädern“ und Christopf Dreher („Lost in Music“) erinnerten an die große Bedeutung der ZDF-Fernsehspielredaktion, die unlängst fast dem Rotstift zum Opfer gefallen wäre. Hannelore Hoger, Hauptdarstellerin von Max Färberböcks Krimibearbeitung „Bella Block“ dankte aus nur ihr erklärlichen Gründen ihrer Tochter, und nicht etwa der Autorin Doris Gercke, und Herbert Feuerstein stieß einen Seufzer gen Himmel, daß diesmal er und nicht Harald Schmidt für „Schmidteinander“ geehrt wurde.

Bedenkt man die Mühe, die sich die Nominierungskommisson gab, Innovatives an die Endjury weiterzureichen, so wirkt der Grimme für das „Arte Design“ doch etwas verloren. Am ehesten steht noch die NDR-BBC-Koproduktion von Stephen Trombley „Ein Exekutionsprotokoll“ – ein formal anspruchsvolles Abbild der amerikanischen Hinrichtungspraxis – für den Anspruch des Grimme-Preises.

Ansonsten war die strategische Stoßrichtung der Jury peinlich klar zu erkennen: Hubertus Meyer- Burckhardt bekam einen hinterhergelobt, weil der BR „Sowieso“ nicht mehr verantworten wollte, „Käptn Blaubär“ wurde vergrimmt, weil man ja auch an die Zukunft denken muß. Auch wenn alle Preisträger ihre Auszeichnung auf eine Art verdient haben, ist dieser neue, ins Ereignishafte gewendete Grimme-Preis dem großen Vorbild „Oscar“ in einer Hinsicht erschreckend ähnlich: Große Überraschungen hatte er nicht zu bieten, geehrt wurden vor allem die großen Studios.

Mit warmem Applaus bedachte man Dieter Meichsner, der für sein Schaffen im deutschen Fernsehspiel verdientermaßen geehrt wurde. In seiner Dankesrede erinnerte er noch einmal an die Helden aus vergangenen Tagen, an Hans Gottschalk, Egon Monk und all die anderen, die die Maßstäbe für deutsches Qualitätsfernsehen einst setzten. Die vielen kleinen Dinge, die sich meine Mutter alltäglich in die gute Stube zappt, Hans Meiser oder Gottschalks „Late-Night- Show“, kommen in Marl satzungsgemäß nicht vor. Zeitgenössische Fernsehrealität dieser Art ist eben weder „eine Fernsehleistung für Deutschland“ noch „Vorbild für die Fernsehpraxis“.

Sollte mich 1995 jemand fragen, welche öffentlich-rechtliche Sendung ich für Grimme-würdig erachte, so werde ich jedenfalls die 3sat-Übertragung der diesjährigen Preisverleihung vorschlagen. Denn während ich in Marl schwitzend versuchte, etwas auf der fernen Bühne zu erkennen, saß meine Mutter bei Toffifee und Weinschoppen in der ersten Reihe. Als ich am Abend abgekämpft nach Hause kam, erzählte sie mir, wer alles im Publikum gesessen hatte, daß Matthias Beltz auch älter geworden sei und Frau Rita kein Pepita stehe. „Und“, meinte sie spitz, „noch gute Geschäfte gemacht?“

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