Kraftmeierei und Sozialdarwinismus

■ O'Neills „Haariger Affe“ im Zimmertheater Tübingen

Die Großkritiker fahren an die Burg, wir fahren in den Keller – genauer: ins Gewölbe des Tübinger Zimmertheaters. Dort residiert seit Saisonbeginn eine Gruppe, die die Großverdiener des Gewerbes „von den Staatsbühnen blasen“ will (so steht es jedenfalls im Programmheft): das vormalige „ZeltEnsemble“ um Crescentia Dünßer und Otto Kukla. Zweimal stand die Gruppe auf der Vorschlagsliste fürs Theatertreffen, hat also schon ganz gut geblasen. Und auch das neue Stück handelt von der Wut gegen das Etablierte.

Peter Stein hat O'Neills „Haarigen Affen“ 1986 an der Schaubühne inszeniert; sein damaliger Dramaturg Klaus Metzger führt jetzt in Tübingen Regie – und der kurz mal aus Wien rübergekommene Bühnenbauer Paul Lerchbaumer zitiert ironisch (als Wandprospekt) die Wolkenkratzer aus dem damaligen Berliner Bühnenbild.

Im Keller ist das Stück genau richtig: Auch O'Neills Protagonist Yank alias Robert Smith lebt in beengten Verhältnissen, im Schiffsbauch eines Ozeanliners der zwanziger Jahre. Als „Stoker“, als Kohlenschipper, hält er die Maschinen in Gang und verachtet die Passagiere da oben mit ihren sauberen Händen und schlaffen Muskeln. Allerdings ist Yank auch deutich gezeichnet von der unzureichenden Belüftung seines Arbeitsplatzes: eine rußige Hölle aus Hitze und Männerschweiß. Bleich und apathisch vor sich hinbrütend, sitzt Otto Kukla im Abseits, während die Kollegen einen heben: ein einsamer Leitwolf, der ausschließlich mit der Faust argumentiert.

Daß die Helden der Arbeit nicht viel im Köpfchen haben, ist ja aus DDR-Zeiten noch hinreichend bekannt. O'Neills Stück zeigt nun ziemlich schamlos, wie nahe proletarische Kraftmeierei und Sozialdarwinismus beieinanderliegen: Yank kultiviert eine sinnlose Vernichtungswut gegenüber allem Schwachen und berauscht sich an seiner eigenen Leistung als Menschmaschine: „Ich zähle – und er nicht!“ Mit der Gewerkschaft hat er nichts am Hut, starrsinnig betreibt er Ringkampf statt Klassenkampf.

Der Regisseur arbeitet von Anfang an mit der Metapher des Äffischen. Dreckverschmierte, brutale Gestalten sitzen gekrümmt unter Deck, unterhalten sich schreiend, hangeln an eisernen Stangen und wechseln die Plätze nach der Hackordnung des Affenkäfigs. Zwischendrin singen sie Shanties – naja. Der Heizraum, ein Ort expressionistischen Gebrülls: Man beschwört das „köstliche Bier“ und lacht im Chor über „das Denken“. Paddy (Michael Sattler), der

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morsche Ire, träumt von der alten Zeit mit braven Männern und sauberen Segelschiffen; Yank läuft Amok gegen Gefühlskitsch und „lausige Nullen“, die's nicht mehr bringen; bis zur Ekstase singt er das Loblied der Kohlenhölle: „Ich bin Stahl! Ich lebe!“

Kuklas Leistung ist es, in all diesem brachialen Gehabe einen depressiven Menschen zu zeigen, der aus Verzweiflung gewalttätig ist. Denn kaum taucht „das Weib“, wie Freud sagen würde, in diesem hochindustriellen Fegefeuer auf, zeigt sich Yanks ganze Impotenz. Fräulein Mildred, das Töchterlein des Schiffseigners und Stahlmagnaten, langweilt sich an Bord und sucht den beschwerlichen Weg in die Maschinenräume, um mal zu sehen, „wie die andere Hälfte lebt“.

Crescentia Dünßer spielt (und Metzger inszeniert) die Figur so, als habe Bert Brecht bei der Ufa angeheuert: gespreizte Posen, das Oberschicht-Kind als Stummfilmparodie, dazu ein bißchen (karikierte) Verruchtheit à la Marlene Dietrich. Mildred nähert sich Yank, als der sich im Arbeitsdelirium befindet: hier ein hämmerndes, schmutziges, schaufelndes Kollektiv im Schiffsrumpf, da die makellose weiße Frau, eine Erscheinung, ein Engel, der pantomimisch vor Yank zurückschreckt und ihn einen „haarigen Affen“ nennt.

Diese Demütigung bringt Yanks ganze Person zum Einsturz. Kukla ist fortan ein winselnder Riese, der im Seemannsgang durch New York irrt, sich in äffische (und von Rodin abgeschaute) Denkerposen wirft und „dazugehören“ will. Nach all dem durchchoreographierten Muskelspiel der Anfangsphase wird nun fast sentimental erzählt, wie er sich als tumber Tor bei der Workers Union bewirbt und dann nicht einmal seinen Namen weiß. Wie er im Kreis denkt. Wie er langsam ins Tierische regrediert. Der Käfig als letzte Zuflucht: Paul Peter Schwietzke spielt den Affen im Zoo als freundlichen Zuhörer, der seinen Möchtegern-Artgenossen Yank aus einem Reflex heraus erdrückt. Ein Versehen, ein Mißverständnis.

O'Neills Stück ist denkbar altmodisch, moralisch, redundant, und angesichts dieser Schwächen kann man vor der Inszenierung nur den Hut ziehen. Andererseits kommt mir Metzgers Regiearbeit im nachhinein doch sehr ausgedacht und zusammenmontiert vor: Sie atmet nicht, sie hat bei allem Lärm doch wenig Power. Hier ein bißchen Arbeiterbilder und expressionistische Standfotos, dann (in den New-York-Szenen) etwas Chaplin; hier der Chor, da der Protagonist. Das oft virtuos agierende Ensemble zieht das über die Durststrecken. Aber eine industrielle Kaspar-Hauser-Reportage, die in dem Stück auch drinsteckt, ist diese Aufführung leider nicht. Christian Gampert

Eugen O'Neill: „Der haarige Affe“. Regie: Klaus Metzger; Bühne: Paul Lerchbaumer. Mit: Crescentia Dünßer, Otto Kukla, Enrique Keil, Michael Sattler u.a. Zimmertheater Tübingen; nächste Vorstellungen: 23., 25. und 26.3.