: Brandenburgs Ampel vor dem Kurzschluß
Heute abend will in Potsdam der Koalitionsausschuß über den Fortbestand der Brandenburger Regierungskoalition entscheiden. Bündnis-Chef Nooke, der Manfred Stolpe bezichtigt hatte, vor dem Stasi-Untersuchungsausschuß gelogen zu haben, wies die ultimative SPD-Forderung nach einer Entschuldigung zurück.
Brandenburgs Ampelkoalition befindet sich derzeit auf Crashkurs. Eine Weiche zum einkalkulierten Zusammenstoß hatte in der vergangenen Woche Bündnis- Fraktionschef Günther Nooke mit der Aussage gestellt, Ministerpräsident Stolpe habe den nach ihm benannten Untersuchungsausschuß wissentlich belogen. Stolpe wich diesmal der Konfrontation nicht aus, hielt vielmehr frontal dagegen: Wenn Nooke sich nicht bis Anfang der Woche entschuldige, platze die Koalition. Stolpe drohte sogar mit der Vertrauensfrage und vorgezogenen Neuwahlen. Doch der große Crash blieb gestern noch einmal aus.
Potsdamer Landtag, Montag, 10 Uhr: Die CDU-Fraktion hatte zur Pressekonferenz geladen. Der CDU-Abgeordnete Frank Werner fordert den Rücktritt Manfred Stolpes: „Das wäre die sauberste Lösung.“ Auch Werner glaubt, Stolpe habe vor dem Untersuchungsausschuß die Unwahrheit gesagt. Der Ministerpräsident hatte vor dem parlamentarischen Gremium versichert, er habe die DDR-Verdienstmedaille „eindeutig“ vom inzwischen verstorbenen Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, in dessen Dienststelle erhalten. Und zwar „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ am 17. November 1978. Der MfS-Offizier Klaus Roßberg beteuerte hingegen, er habe Stolpe am 21. November 1978 den Orden in einem „konspirativen Objekt“ in Berlin-Köpenick verliehen. Eine Nutzerliste der Köpenicker Stasi-Villa bestätigt das Treffen des IM „Sekretär“ mit Roßberg und dessen Vorgesetzem Wiegand. Die CDU-Fraktion kündigt an, mit der Vorlage des Abschlußberichtes im Parlament Stolpe die Vertrauensfrage zu stellen. „Entsprechend der politischen Hygiene wäre das schon der richtige Schritt“, sagt CDU-Fraktionschef Helm. Und weiter: „Nach einem normalen Gerichtsverfahren, wenn die Schuld erwiesen ist, müßte der Rücktritt erfolgen.“ Vorgezogene Neuwahlen, wie sie Stolpe vergangenen Sonnabend als äußersten Schritt angekündigt hatte, kommen für die CDU jedoch nicht in Frage. Noch sind die Umfragen zu schlecht.
Potsdamer Landtag, 11 Uhr: Pressekonferenz bei der FDP. FDP-Fraktionschef Lietzmann stellt sich hinter den Ministerpräsidenten. „Auch für Stolpe muß der Grundsatz der Unschuldsvermutung gelten.“ Lietzmann wird schärfer: „Wer versucht, das Thema Stolpe und DDR-Vergangenheit in den Wahlkampf zu tragen, dem wird es auf die Füße fallen.“ Vor allem kritisiert Lietzmann die „punktuelle Übergabe“ der Stolpe-Dokumente an die Medien. „Es läßt den Eindruck entstehen, daß die Gauck-Behörde mit der Zielsetzung arbeitet, Stolpe muß weg.“
Potsdamer Landtag 12 Uhr: Die mit Spannung erwartete Pressekonferenz der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt. Am Sonntag hatte die Bündnis-Fraktion bis spät in die Nacht zusammengesessen, und sie gibt ihrem Fraktionschef volle Rückendeckung. „Wir stehen zu Günther Nooke, er hat unser Vertrauen“, meint Mathias Platzeck.
Günther Nooke will sich nicht bei Manfred Stolpe entschuldigen. Er beteuert vielmehr, „keine ehrabschneidenden Vorwürfe gegen den Ministerpräsidenten“ erhoben zu haben. Nooke spezifizierte seine Aussage: „Wenn die Aktenlage sich so verdichtet, daß die Echtheit der Dokumente bestätigt wird, dann wird es ein großes Problem für Stolpe, wenn er die Unwahrheit gesagt hat.“ Er gibt zu, daß „die Schlüssigkeit der sich verdichtenden Indizien in der Fraktion unterschiedlich bewertet wird“. Einig sei man sich aber in folgendem: „Wenn der Ministerpräsident gegenüber dem Parlament die Unwahrheit gesagt hat, kann er nicht in seinem Amt bleiben.“
Die Bündnis-Fraktion fordert den Ministerpräsidenten jetzt auf, „alles in seiner Macht stehende zu tun, um seine früheren Verbindungen mit dem MfS, insbesondere die Vorgänge bezüglich der Ordensverleihung, rückhaltlos aufzuklären“. Gegenüber Nooke mäkelte die Fraktion lediglich, daß dieser vor seiner öffentlichen Äußerung nicht die Meinung der Fraktionsmitglieder eingeholt habe. Trotzdem darf Nooke weiterhin das Bündnis im Untersuchungsausschuß vertreten.
Potsdamer Landtag, 13.30 Uhr: Der Journalisten-Troß bewegt sich zur SPD. Fraktionschef Birthler bewertet Nookes Ausführungen als „unbefriedigenden Zwischenbescheid“. „Günter Nooke bleibt bis zum morgigen Koalitionsausschuß aufgefordert, seine Vorwürfe der Lüge in geeigneter Weise zurückzuziehen.“ Fordert Birthler. Birthler hofft, daß die Ergebnisse der für heute angesetzten Sitzung des Untersuchungsausschusses „Nooke eine Entschuldigung erleichtern werden“.
Am Abend wird die Koalition aus SPD, FDP und Bündnis dann darüber entscheiden, ob die Ampel vorzeitig das Zeitliche segnen wird. Anja Sprogies, Potsdam
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