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Geschnitzter Sündenfall

■ Bloße Fäuste und die Lust am Ornamentieren: Eine Ausstellung mit Linolschnitten des namibischen Künstlers John Ndevasia Muafangejo in Stuttgart

Kudu-Antilopen, Stammes- Hochzeiten, Minenarbeiter und zuletzt Apartheid: Muafangejos Bilder von der Welt zeigen ein sich wandelndes Verhältnis zu Mensch und Natur in einem Afrika der siebziger Jahre, das zunehmend von Industrialisierung und Urbanität geprägt wurde. Denn zunächst wuchs John Ndevasia Muafangejo behütet im traditionellen Kral mit den täglichen Verrichtungen auf. Das Getreide wurde gedroschen und gespeichert, John hütete Rinder und Ziegen und half seiner Mutter. Hierarchie und soziale Strukturen, viele Jahrhunderte alt, bestimmten die täglichen Pflichten und Vorrechte: Wer Bier trinken durfte, oder wie und wann den Stammesautoritäten Mandume, Eklifas und Weyjula gehuldigt wurde. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr gehörte John dem Kral Muafangejos an, zur Familie zählten acht Frauen und 17 Kinder. „Muafangejos Kral“, der Linolschnitt aus dem Jahre 1980, erzählt die Geschichte einer Kindheit im angolanischen Teil Okuanyamas.

Aber dann und wann kam es auch zu Familientragödien. Der Tod des Vaters war eine solche: Die Mutter zog traditionsgemäß zu ihrer eigenen Familie, die in der Missionsstation Epinga in Südwestafrika lebte. John folgte ihr ein Jahr später. Erstmals begegnete er Europäern, weißen Missionaren, der Schule und der Kirche des Abendlandes. Eine Zäsur, die für Johns weiteres Leben als Künstler entscheidend werden sollte.

Fortan kümmert sich Onkel Stephen Paulus um den 13jährigen, bevor er in die Schule der Weißen geht, in die Holy-Cross-Missionsschule in Onamunama und später in die St.-Mary-Mission in Odibo. Als sein Onkel 1967 unter dem Titel „Epukululo Ovavambo“ eine volkstümliche Geschichte über das Land Ovambo schreibt, steuert John Illustrationen mit Feder und Tusche bei. Viele dieser Zeichnungen dienen John als Vorlagen für seine Linolschnitte, die er während seines Studiums am Roke's Drift Art Centre im südafrikanischen Natal anfertigt. Von Anfang an sind seine Arbeiten geprägt durch einen einfachen Erzählstil, der sich auf das Wesentliche beschränkt. Seine bildhaften Darstellungen sind sein Tagebuch, das er nach und nach vervollständigt und in handliche Tafeln schnitzt: „Wasserholen vom Brunnen“ oder „Hochzeit bei den Kuanjama“; „Drei Mädchen beim Getreidestampfen“, 1980, mißt gerade einmal 34x31 Zentimeter.

Die Arbeiten erscheinen zwar naiv, doch vielleicht kann sich gerade deshalb ein sozialkritischer Unterton, etwa bei „Arbeitende Männer in der Stadt“ (1981), daruntermischen, ohne bemüht zu wirken. Auf der dreigeteilten Platte schildert Muafangejo den südafrikanischen Alltag, die Knechtschaft der Schwarzen im Bergwerk und das noch intakt scheinende Dorfleben der Frauen.

Black Power und der Kampf gegen die Apartheid werden bereits 1975 thematisiert, als der farbige Führer Phillimon Elifas erschossen wird. „Die Macht Südafrikas“ (1975) faßt zusammen, was bis dato im Ovamboland geschehen ist. Minutiös hält Muafangejo am unteren Bildrand fest: Elifas wurde an einem Samstag, genau am 16. August 1975, um 9 Uhr getötet. 3.000 Menschen wohnten der Trauerzeremonie am Grab bei; schon 1972 mußte ein Schwarzer sein Leben lassen, „Haushona Sheimi, who was bombed by car. Let us think and remember our two killed chiefs for us.“ In der linken oberen Bildecke hat Muafangejo neben die weißen Unterdrücker mit ihren Gewehren eine bloße Faust gesetzt.

Die teils konkreten, teils abstrahierenden Linienmuster, die rhythmisch-repetitive Formgebung zeugen trotz der Lust am Ornamentieren von einer intensiven Auseinandersetzung mit der südafrikanischen Wirklichkeit, als wolle Muafangejo seine Nachwelt auffordern: Seht her, das ist unsere Kultur, das unser Kampf, unser Leiden, unsere Tragik! Als John Muafangejo am 27. November 1987 im Alter von 44 Jahren stirbt, verliert Namibia den wohl bedeutendsten zeitgenössischen Künstler und einen Wegbereiter des politischen Bewußtseins auf dem schwarzen Kontinent.

Schwarz und Weiß sind auch die Farben, die er zum Kontrastprinzip seiner Druckgraphiken erhebt. Als biblische Metapher erscheint daneben der Sündenfall im Paradies. Zeitlebens hat sich Muafangejo mit dieser Konfrontation auseinandergestzt, mit dem Aufeinandertreffen seiner Kultur und den westlichen „Zivilisatoren“. „Adam und Eva“ entsteht 1968, im Jahre 1985 vervollständigt er sein Gleichnis. Es ist die eher ungleiche Begegnung zweier Protagonisten unterschiedlicher und doch gleicher Horizonte. Eva ist korpulenter, ausdruckskräftiger, Adam vergleichsweise kleinwüchsig und in ergebener Körperhaltung. Überlegen führt sie ihn in Versuchung, reicht ihm die Frucht, den Apfel, der beide für immer verbindet.

Der Zeitpunkt der Ausstellung fällt mit einer anderen Geste der Verbundenheit zusammen: Parallel zum vierten Unabhängigkeitstag, den Namibia am 21. März feierte, werden im Forum für Kulturaustausch im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen erstmals in der Bundesrepublik rund 60 Arbeiten Muafangejos gezeigt. Zwar wird Namibia häufig als positives Beispiel für eine junge afrikanische Demokratie zitiert, doch auch im „Vorzeigeland“ Afrikas sind die sozialen Unterschiede zu groß, und größer noch die religiösen Stammeskonflikte. John Muafangejo hat das Problem für sich gelöst. Er galt als tief gläubiger Christ, was ihm ermöglichte, seine Eindrücke eines blutigen gesellschaftlichen Umbruchs aus der gewissen Distanz des Weltabgekehrten zu verarbeiten. Günther Scheinpflug

Die Ausstellung ist noch bis zum 27. März im Forum für Kulturaustausch, Charlottenplatz 17, in Stuttgart zu sehen, danach vom 12.5. bis 20.7. in Bremen; der Katalog kostet 24 Mark.

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