piwik no script img

Eisbären können nicht weinen

■ H.R. Kunze will auf seiner neuen LP einfach Musik machen

Eigentlich dürfte es Heinz Rudolf Kunze gar nicht mehr geben. Mit seinen knallgelben oder bunt gemusterten Jacketts und der schweren schwarzen Plastikbrille war er eine Figur, die nur zu gut in das Menschenbild der Achtziger paßte. Sein Outfit erinnerte schwer an das des „wahren Heino“, der heute immer noch in schrillen Klamotten rumläuft und merkwürdige Witze macht, so als sei er seinem eigenen Image aufgesessen. Kunze machte immer eher den Eindruck, als sei er trotz seines Images als halbintellektueller Zyniker zu einer Art deutschem Popstar avanciert. Er war für alle „der Lehrer“. Seine Schüler haßten ihn aber nicht, was natürlich gewesen wäre, sondern rannten in seine Konzerte und kauften massenhaft seine Platten. „Alles, was sie wollten“, waren Kunze, Grönemeyer, BAP, zwischendurch immer mal wieder Lindenberg, dann sogar Klaus Lage, und zum Gläschen Rotwein für die Älteren tat's auch ein reifer Konstantin Wecker.

Heute, denkt man, müßte das vorbei sein. Doch Deutschrocker sind zäher als Dinosaurier, BAP treten tatsächlich in der Hitparade auf. Einfach ignorieren aber können die alten ihre jüngeren Konkurrenten von Ärzten, Toten Hosen, Fantastischen 4, Prinzen und vor allem Grunge, HipHop und Spezialistenmusiken aus Übersee nicht. Markttechnisch gesprochen geht's ums nackte Überleben.

Kunze hat sich mit einem Eisbärenfell gewappnet. Wie immer miesepetrig gelaunt, als dürfe man ihm nicht zu nahe kommen, sitzt er auf seinem Plattencover in einem Meer von Zeitungen und hat sich vermeintlich harmlose Schäfchenwolken an die Wand seiner Villa gemalt. Der Eisbärenkopf liegt wie ein Motorradhelm auf seinen Knien. Die Platte heißt aber nicht NDW-mäßig „Ich möchte ein Eisbär sein“, sondern, so als sei das plötzlich ein Kinderspiel für einen, dem seine Ernsthaftigkeit als Leiden ins Gesicht geschrieben steht, „Kunze: macht Musik“. Einfach so Musik machen, ja geht das denn für einen wie Kunze überhaupt?

Jein, und so kommt auch der Musik-Express/Sounds mit seinem Zitatjournalismus in diesem Monat nicht um die neue Kunze herum: „Mit ,Was willst Du‘ brettert das neue Werk aus dem Hause Kunze rotzig und trocken los. Ein Liebeslied, ja – aber eins, das knallt wie ein überfälliger Fangschuß.“ Komisch nur, daß sich das Jägerlatein wortwörtlich als gekürztes Produktinfo der Plattenfirma erweist.

Solche Behandlung hat Kunzes Platte eigentlich nicht verdient. Ist er doch mit „Macht Musik“ an einem Punkt angekommen, an dem er nicht nur gern „Spaß haben“ wollte, um allen zu zeigen, daß er das auch kann, sondern scheinbar wirklich seinen Spaß hatte. Spaß aber immer nicht ganz so, wie wir ihn kennen, sondern im kunzeschen Sinne von spröder Distanz zum Objekt.

Die Synthies sind trendgemäß im Studio-Mülleimer gelandet, statt dessen schaben Gitarren am Songholz. Als wollte er sich auf seine alten Tage – es ist immerhin sein vierzehntes Album in 13 Jahren – als deutscher Neil Young versuchen. Am liebsten wäre er dann aber auch gleich noch Lou Reed – und das läuft noch immer sehr auf Getextetes hinaus. Nun, die Texte sind gewohnt wichtig, haben aber jetzt den Vorteil, nicht mehr das tragende Gerüst der Songs sein zu müssen. Die Platte klingt, als habe Kunze erst die Musik und dann die Texte geschrieben, obwohl ich das auch nicht so recht glauben mag.

Die Lieder versuchen sich nach wie vor an ästhetisch aufgeladenen Gefühlsbildern, die einem nie so richtig aufgehen wollen. Meistens meint er wohl uns, wenn er von „Du“ spricht. Selten nur läßt er ein song-lyrisches Ich auftreten. Und auch dann sind es wieder nur die anderen, die gemeint sind, oder gleich halb Deutschland: „Mein Vater war ein Wandersmann, er kam bis Wladiwostok. Ich kenn mich aus auf Capri, doch wo liegt eigentlich Rostock?“ Eigene Erfahrungen schildert Kunze in seinen Texten nur bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert. Er ist nie unglücklich verliebt und schon gar nicht in Personen mit Namen. Menschen erscheinen wie abstrakte Erfindungen, mit Gefühlen wie aus dem Genlabor: „Das Gefühl, wenn du wieder deinen Arzt betrübst. Wenn du nachmittags bei Regenwetter Geige übst. In einem Kinderwagen schläfst, den ein Glöckner zieht.“ Das geht endlos so weiter. Als wollte jemand mit künstlichen Metaphern Literatur verbreiten.

Out of space und außerhalb der Zeit

Wohltuend an dieser verschrobenen Unkonkretheit bleibt allein, daß Kunze dadurch immer etwas out of space wirkt und außerhalb der Zeit. Das erspart uns den bei fast allen deutschen Musikern inzwischen obligaten Kommentar zum Rassismus im allgemeinen. Statt dessen muß es Kunze gleich wieder übertreiben und hat „Sex mit Hitler“. Er phantasiert sich zu des Führers Strichjungen, sagt uns aber von vornherein, die Romanze sei „nicht der Rede wert“ – „Ich war sein Berlin, sein Großdeutschland, seine ganze Welt.“ Will uns Kunze den Spiegel vor Augen halten? HRK, der Nazi in uns allen? Ein Hippie jedenfalls war Kunze wohl nie, und jetzt rechnet er ganz ab: „Fetter alter Hippie, die besten deines Jahrgangs sind Amok gelaufen. Da sitzt du nun, im Tran deiner Tage.“ Kunze, ein verspäteter Andreas Baader?

Eine Gitarrenplatte von einem Mann, der 1982 damit schockierte, daß er die Musiker seiner inexistenten Band schon vor dem Einstellungstermin wegrationalisiert hatte. Die Band hieß schon damals depersonalisiert und neutral „Verstärkung“ und bestand aus Magnetband, womit Kunze sich all die späteren Freuden der Individualisierungswelle der achtziger Jahre vorwegnahm.

1994 will Kunze „Musik machen“, das klingt ein wenig zu sehr nach dem guten alten ehrlichen Rock, um noch einmal als prophetisch durchzugehen. Hübsch aber immer noch die leicht gestelzten Kunze-typischen Mini-Wahrheiten: „Mein Freund verließ mich für meine erste Freundin. Einen langen Moment war ich sicher, daß sei nicht wieder gutzumachen. Er dauert noch an.“ Andreas Becker

Heinz Rudolf Kunze: „Kunze: Macht Musik“ (WEA)

Tourstart am 15.4. in Osterode, 17.4. Hameln, 18.4. Magdeburg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen