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„Ohne Bilder keine Geschichte“

Wir bleiben, bis die Fruchtblase platzt: Sensationsfotografen hocken wochenlang auf Dächern, in Wohnmobilen oder auf dem Klo, bis „der Schuß“ sitzt / Von einem, der auszog, Millionen zu machen  ■ Von Gerhard Pfeil

Das Radio vermeldet den Ausnahmezustand. „Die Lage eskaliert“, hechelt der Mann am Mikro: Im herrschaftlichen München-Bogenhausen tobt der pränatale Irrsinn. Eigentümliche Pressemenschen, die seit Tagen der Niederkunft des Sprosses von Barbara und Boris Becker harren, haben die Macht übernommen. Die Villa der Eltern in spe ist umstellt. Mediale Wegelagerer, heißt es, baumeln in den Bäumen rund um das Anwesen oder robben durch gepflegte Vorgärten, um ihr Opfer zu erpirschen. Mäßig sittsam gerierten sich die Gestalten obendrein. In Grünanlagen würden sie pinkeln und in einem Wohnmobil Pornovideos gucken.

Donnerwetter. Wir sind natürlich gleich rausgefahren, um der Orgie beizuwohnen. Aber leider hing kein Mensch im Geäst. Was einigen Fernsehteams argen Verdruß bereitete, weil sich ein Paparazzo im Baum ja doch prima gemacht hätte für die Abendnachrichten. Und in besagtem Wohnmobil war gar kein Videorekorder. Dafür ein entnervter Sensationsfotograf. Er war gerade dabei, eine Reportage über sich zu lesen und sah nicht glücklich dabei aus, weil darin behauptet wurde, er gäbe seinem Drang nach Entleerung stets im Spülbecken seines Wohnmobils nach. Wir haben ihn dann gefragt, warum hier nichts los sei und daß sie im Radio doch gemeint hätten... „Ach was“, raunte der Paparazzo Erich Niets (Name von der Redaktion geändert) darauf ein bißchen zornig, „wir sind doch nur die Frontschweine, über die sich jeder seine eigenen Wahrheiten reimt.“

Komisch: Kaum sind die Jäger die Gejagten, jaulen sie beleidigt auf. Als Schlüssellochglotzer und Medienproleten hatte mensch sie verunglimpft, was zugegebenermaßen nicht freundlich klingt. Aber vielleicht begründet sich die Metaphorik ja darin, daß Paparazzi nun mal dafür berüchtigt sind, immer dann zu knipsen, wenn es keiner will. Was ihrer Klientel zumeist ziemlich aufs Gemüt schlägt, da die im klassischen Fall erst von ihrem „Abschuß“ erfährt, wenn der bereits knallig ein Titelblatt ziert.

Das ist auch nicht nett. Und es soll Prominente geben, die sich aus Angst vor den professionellen Nervensägen nicht mehr aus dem Hause trauen. Und ob Claudia Schiffer sich dereinst noch einmal sorglos enthüllen kann, seitdem sie, bräunungsaktiv entblößt, auf einer Yacht vor der mallorquinischen Küste einem fotografischen Seeteufel anheimfiel, ist auch so sicher nicht.

Schande über die Auslöser der Psychose, schallte es ehedem durch die Nation, derweil Illustrierte doppelseitig über die Wertigkeit der Lichtbilder sinnierten („Göttlich. Aber echt?“). Was der Auflage keinerlei Abbruch tat und wodurch wiederum verständlich wird, daß Niets die Kritik an seiner Zunft trotzig abtut und naßforsch den Enthüller mimt: „Wir zeigen eben Dinge, die die Leute ungern preisgeben.“ Obschon Niets erst seit zwei Jahren dem Kameravoyeurismus fröhnt, ist ihm bereits eine gewisse Routine teilhaftig. Fragt mensch den derzeit bekanntesten Paparazzo hierzulande, wie er zu dem Ruhm gekommen ist, dann sagt er: „Ich liebe das Abenteuer.“

Also doch. Sensationsfotografie – eine Spielwiese für pathologische Spanner. Nö, wiegelt Niets ab. Ihm sei der Beruf nur Gelegenheit, etwas anderes zu sehen, rauszukommen. Früher konnte er das nicht, fühlte er sich eingepfercht. In einer Leipziger Landmaschinenfabrik werkelte der diplomierte Ingenieur, bis ihm ob der Ödnis seines Daseins der Kragen platzte.

Also schnitt er sich an der ungarisch-österreichischen Grenze durch Sperrzäune, durchschwamm einen Fluß, durchwatete ein Sumpfgebiet und floh in den Westen. Dort angekommen, landete Niets in einer Hamburger Fabrik und fühlte sich alsbald abermals wie eingekerkert. Dem Drang nach etwas mehr Pep im tristen Alltag gedachte er als Animateur in einem Urlaubsclub in Griechenland nachzukommen. Doch alsbald war ihm die Rolle des Spaßonkels ein Greuel. Er kehrte zurück nach Hamburg und stellte sich in den Dienst einer Fotoagentur. Seither ist alles anders.

Manchmal rebelliert Niets' Magen wegen des Auftragsstresses. Einerlei, sagt der 27jährige, „ich mag die Abwechslung“. Von Promi-Fete zu Promi-Empfang hetzt der Fotograf, gepeinigt von der Furcht, irgendwas zu versäumen. Und findet es toll, sagt er. Obgleich die Schlafstörungen schon lästig sind.

Aber ganz nah dran an der Sensation ist eben auch nicht weit weg vom Nervenzusammenbruch. Was insofern zu verkraften ist, als die Profession natürlich Vorzüge monetärer Natur bietet. Ein Exklusivfoto von dem noch blutigen Becker-Neugeborenen wurde mit 1,5 Millionen Mark gehandelt. Womit ziemlich verständlich wird, weswegen sich die Paparazzi seinerzeit – entgegen ihrer Berufsethik, immer allein zu arbeiten – im Rudel um das Antlitz des Knirpses balgten.

Einmal hätte auch Erich Niets reich werden können. Auf einem Dach gegenüber der Wohnung von Marlene Dietrich in der Rue Montaigne in Paris bezog er Stellung und beäugte tagelang den Balkon der öffentlichkeitsscheuen Diva. Und wenn er müde wurde, dann dachte er an die Paparazzi, die Millionen verdient haben mit ihren Bildern, und auch daran, daß er sich einige dröge Aufträge sparen könnte, wenn er diesen einen Schnappschuß machen würde. Leider ließ sich Marlene Dietrich nie blicken. Und die Million für die letzten Fotos von der Schauspielerin kassierte ihr Hausmeister, der die Dietrich kurz vor ihrem Tod im Schlaf knipste.

Blöd gelaufen. Da besinnt mensch sich gerne besserer Tage. Zum Beispiel des unterhaltsamen Scharmützels auf Mallorca, als es galt, die schwangere Barbara Becker bei Filmaufnahmen abzulichten. Ein Kollege Niets näherte sich damals mit der Pocket der Schauspielerin, was ihm einige unfromme Maßregelungen seitens der Wachmänner eintrug. Auch dem Paparazzo, der auf dem Klo einen kleinen Jungen avisierte, mal eben für ihn die nette Tante mit dem dicken Bauch zu knipsen, war kein Glück beschieden. Der verflixte Knabe trug das Begehr einem grimmigen Polizisten weiter. Nur einer fotografierte exklusiv und aus dem Hinterhalt. „Mit dem 800er Tele hab ich's gemacht“, sagt Niets und grinst, als habe er gerade John Wayne vom Pferd geschossen. Aber das Foto war ja auch eine Sensation.

Den gewissenlosen Kameravoyeur mag Niets indes nicht abgeben. Er sei kein „Fotoroboter“, sagt er, und lehne schon mal einen Auftrag ab. „Ich will nicht“, sagt Niets, „daß die Leute durch meine Bilder einen Nachteil erfahren.“ Andererseits gesteht er, eingedenk des Konkurrenzkampfes, ein, „wer nur offizielle Sachen übernimmt, kommt nicht weit“. Ein wahrer „Bilderkrieg“ wüte mittlerweile zwischen den Agenturen. Die Kollegialität hat darob ihre Grenzen.

„Solange alle stehen und warten, ist alles pretty“, sagt Niets, „aber wenn es ernst wird, geht es jeder gegen jeden.“ Wer sich nicht mitprügelt beim Kampf um die besten Plätze, verliert. Und wen zu oft das Gewissen plagt, fliegt aus dem Geschäft. Weswegen sich die Hartgesottenen des Metiers nicht entblöden, wochenlang vor dem Anwesen Willy Brandts in Unkel auf dessen Ableben zu lauern, um den Augenblick festzuhalten, da der Sarg des Politikers herausgetragen wird. Und solange Fotos von Boris und Babs im Urlaub die Bunte vollends enthemmen (Bildunterschrift: „Boris guckt lieb. Ist es der Blick des werdenden Vaters?“) oder Bild restlos gaga nach einem Portrait des Becker-Balgs winselt („Boris, sei ein Mann, zeig ihn uns“), wird heiter weiter draufgehalten. Daß Niets den fotografischen Dumpfsinn zu einem journalistischen Kreuzzug verbrämt („Paparazzi sind keine Hofberichterstatter“) und schlichten Promi- Schrecks investigative Geisteskraft beimißt, mutet freilich reichlich albern an. Zumal Niets ahnt, was läuft: „Ohne Bilder keine Geschichte.“ Basta.

Gut müssen die Bilder nicht sein. Bei der Fotosause in München lichtete Niets irgendeine Tasche ab, die irgendwer aus jener Klinik getragen hatte, in der auch Bobbeles Bubelle geboren war. Schon wähnte die Redaktion, für die Niets fotografierte, das Foto des Jahres in Händen zu halten und phantasierte, in der abgebildeten Tasche sei der Becker-Bursche aus dem Krankenhaus geschmuggelt worden. Stimmte nicht. War aber egal. Und das Bild eine Sensation.

Grenzenlos ist das Feld der auflagesteigernden Banalitäten. „Dieser ständige Klatsch“, klagt Niets, „irgendwann verklebt es dir das Hirn.“ Und dann sagt er, daß er einmal ein gutes Bild machen wolle, eines, „das etwas bewirkt“. Doch es gibt keine Helden in der Welt der fotografischen Belanglosigkeit. Und vielleicht bedauert Niets das, wenn er meint, „wir sind doch nur die Kasper, die die Bilder zum Klatsch liefern“.

Dafür funktionieren sie einwandfrei. Kürzlich in Bogenhausen hat Barbara Becker den sonderbaren Pressemenschen vor ihrer Tür zugerufen: „Was wollt ihr hier, für mein Kind interessiert sich doch kein Arsch.“ Wohl gesprochen, Babs. Doch für den Appell interessierte sich ebenfalls kein Schwein. „Wir bleiben“, sprach ein Fotograf, „bis die Fruchtblase platzt.“ Und dann knipsten alle die Ruferin im Fenster. Und das Bild war eine Sensation.

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