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Unterm Strich

Tage gibt's, da fügt sich alles traumhaft, da begegnen sich Regenschirm und Nähmaschine auf einem Seziertisch bzw. Sezierschirm und Regenmaschine auf einem Nähtisch, resp. Seziermaschine und Nähschirm auf einem Regentisch. Und ein nahezu neunundneunzigjähriger Ernst Jünger, immerhin „einer der bedeutendsten lebenden deutschen Schriftsteller“, begegnet Nena (34), einer der bedeutendsten lebenden deutschen Schlagersängerinnen. Ernst Jünger wird eigentlich erst am Dienstag (29. März) 99 Jahre alt. Da wir aber als Freunde der surrealistischen kritisch-paranoischen Methode mehr an die mystische Macht des Zufalls als an die alltägliche Logik glauben, feiern wir einfach schon mal im voraus. Denn der Gott der Nachrichtenagenturen, der den „umstrittenen Autor“ und die „quirlige Sängerin“ heute zusammen über die Ticker laufen ließ, hat sich schon was dabei gedacht. Nena und Ernst, nun liegt es offen zutage – sie führen parallele Leben (A. Bullock) wie weiland Hitler und Stalin. Nicht genug damit, daß beider zentrales Thema der Krieg ist, wie durch ihre jeweiligen Hauptwerke „In Stahlgewittern“ und „Neunundneunzig (!!!) Luftballons“ hinreichend belegt ist. Der Neunundneunzigjährige und die Vierunddreißigjährige folgen auch dem selben Fitneß-Rezept. Ernst Jüngers allmorgendliche kalte Bäder sind ja schon literaturgeschichtlich weidlich belegt; für Nena ist „jede neue Platte wie ein Sprung ins kalte Wasser“. Beide lieben das Leben auf dem Lande: Er „lebt seit Jahrzehnten im alten Forsthaus der Familie Stauffenberg im oberschwäbischen Wilflingen“. Sie will „noch in diesem Jahr mit ihren Kindern Saskias und Larissa aufs Land ziehen“. Da verwundert es nicht, daß beide als Kritiker der „zunehmenden Entfernung des Menschen von der Natur“ (Nena) und des modernen „Maschinenwesens“ (E. Jünger) hervortreten. Und wir ahnen auch schon, wovon die Stauffenbergischen Wälder am kommenden Dienstag widerhallen werden: „Neunundneunzig Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister...“

Und was ist eigentlich mit Leni Riefenstahl (92)? Sie hat gerade den Fragebogen des FAZ-Magazins ausgefüllt. Und nun raten Sie mal, was für sie „das größte Unglück“ ist? Nein, nicht die laienhafte Berichterstattung vom letzten CDU-Parteitag! – Krieg! Und was ist wohl ihre „Lieblingsgestalt in der Geschichte“? – Mahatma Gandhi! Ihre „Helden in der Wirklichkeit“? Nicht Wladimir Schirinowski, Jean- Marie Le Pen und Franz Schönhuber! – „Dr. Albert Schweitzer, Mutter Teresa und Helfer in armen Ländern“. „Lieblingsschriftsteller“? Nicht Josef Weinheber und Gertrud Fussenegger, sondern H. v. Kleist und Balzac! Na, und was wird wohl ihr „Hauptcharakterzug“ sein? Man faßt es nicht: „Willensstärke!“ Aber aber, verehrte Dame, hohe Frau, muß das nicht besser „Triumph der Willensstärke“ heißen?

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