: Der ganz alltägliche Rinder-Wahnsinn
Von der heiligen Kuh der Frühzeiten zum säkularen Hamburger / Jeremy Rifkin beschreibt, wie die ökologische Katastrophe aus dem Beefsteak erwächst / Ein Buch, das zum Wiederkäuen anregt ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Gesetzt den Fall, die Erde sollte nur AmerikanerInnen ernähren. Dann wäre bei zweieinhalb Milliarden spätestens Schluß, schon wegen des Mangels an Hamburgern und Beefsteaks. Mehr Konsumenten dieser Art könnte der Globus beim besten Willen nicht verkraften, selbst wenn noch mehr Mais und Weizen an Rinderherden verfüttert würden. Dem einen sein Beefsteak wäre den anderen ihr Todesurteil.
„Weltweit wird etwa ein Drittel der gesamten Getreideernte an Vieh verfüttert, während gleichzeitig eine Milliarde Menschen an Hunger und chronischer Unterernährung leiden“, schreibt Jeremy Rifkin in seinem neuesten Buch „Das Imperium der Rinder“. Wer dafür verantwortlich ist? Rifkin zeigt auf seine Landsleute und auf uns, die Nachfahren der alten Hunnen. Gezähmt seien Rinder zwar schon im alten Mesopotamien worden, dort avancierten sie zum Kulttier.
Doch erst die Hunnen und vor ihnen andere Reitervölker hätten in grauer Vorzeit den heute herrschenden Rinderkult nach Europa gebracht, schreibt Rifkin.
„Ihre militärische Überlegenheit verdankten sie, wie die Cowboys des 19. Jahrhunderts, ihren Reittieren, ihr Reichtum war das Vieh und ihr Territorium das regenarme Grasland der gemäßigten Klimazonen.“ Das Rind konnten die kriegerischen Nomaden mitnehmen, pecus, das Vieh, war pecunia – das Geld: in antiken Zeiten und bei den Cowboys des 19. Jahrhunderts. Aus der Kultfigur wurde eine Handelsware. Das vierbeinige Teufelstier, man beachte Hörner, Schwanz und gespaltene Hufe, eroberte als Tauschwert zunächst die alte und schließlich auch die sogenannte neue Welt. Zunächst ein Geldspeicher, der sich billig von dem ernährt, was er am Wegesrand findet. Heute zunehmend ein Getreidespeicher auf vier Beinen. Schließlich vertilgt ein Rind sieben Kilo Getreide, um selbst ein Kilo zuzulegen. Heute verzehren die US-amerikanischen Jünger des großen Rinderkults im Schnitt reichlich 40 Kilo Rindfleisch jährlich neben all den Puten und Hähnchen und Schweine und Schafen, die dem Wohlergehen geopfert werden. „Diese Umwidmung des Getreides vom Nahrungs- zum Futtermittel markiert die folgenschwerste Umverteilung von Reichtümern in der Geschichte der Menschheit“, so Rifkin.
Unsere Tiere fressen, was so mancher Afrikaner zum Überleben nötig hätte. Ein US-Bürger verbraucht jährlich im Schnitt 860 Kilo Getreide, ein Haitianer 100. Rifkin hat ein Mosaik von Informationen zu einem großen Gemälde zusammengesetzt, dem des euro-amerikanischen Rindfleisch- Imperiums: Warum schon die spanischen Missionen im alten Kalifornien von der Rinderzucht lebten, wie die lateinamerikanischen Feudalgesellschaften auf Rindern aufbauten und was die Zerstörung des Regenwaldes mit unserer Hamburger-Kultur zu tun hat. Stark ist das Buch in der Kulturgeschichte, wenn etwa die Wurzeln des britischen Rindfleischkonsums in den keltischen Jagden und Schlachtfesten verortet werden. „Der Rindfleischkonsum geriet zum Initiationsritus der aufstrebenden Briten. Der Geschmack von Fett war gleichbedeutend mit dem Geschmack am Überfluß.“
Mit großem Aufwand an Zahlen und Argumenten stützt Rifkin seine These, daß die Rinder der Menschheit die Haare vom Kopf fressen. Die weltweit mehr als eine Milliarde Rindviecher seien maßgeblich verantwortlich für die Versteppung weiter Teile alter Graslandschaften, sie produzierten Methangas, das das Treibhausklima anheizt. Den saftigen Beefsteaks würden Teile des Regenwalds geopfert, die biologische Vielfalt zerstört. Zu allem Überfluß würde mit dem Fleisch auch noch das Volk vergiftet. Zu viel Fleisch sei per se ungesund, außerdem sei es heute vollgestopft mit Medikamenten und Pestiziden.
Eher hilflos wirkt der Autor dagegen, wenn es um Auswege aus der Malaise geht. Zu „Beyond Beef“, so der Originaltitel, fällt ihm nichts ein, außer ein „neues Kapitel in der Entfaltung des menschlichen Bewußtseins“ zu fordern. „Wenn Millionen Amerikaner, Europäer, Japaner und andere den persönlichen Entschluß fassen, weniger Rindfleisch zu essen, wird die künstliche Proteinskala, die sich in unserem Jahrhundert entwickelt hat, in sich zusammenstürzen.“ Eine solche „weitreichende Neuverteilung der Schätze unserer Erde wird das Menschengeschlecht in Brüderlichkeit vereinen“. Rifkin fehlt offensichtlich der Glaube an gesellschaftliche Steuerung, daran, daß politische Entscheidungen, die nicht auf individuellen, von der großen Mehrheit geteilten Einsichten beruhen, gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen oder gar bestimmen könnten. Technologie und gesellschaftliche Institutionen bleiben unveränderbar im Irgendwo, quasi naturgesetzlich. „Der moderne Rinderkomplex repräsentiert eine neue Dimension des Bösen in der Welt.“ Dagegen verfügt der Mensch nur über „gerechten Zorn und Entrüstung“.
Diese Auffassung muß der Mensch nicht teilen, um vom Sammeleifer Rifkins zu profitieren. Auf 250 Seiten hat er wissenschaftliche Literatur populär aufbereitet und Zahlenmaterial gesichtet. Ärgerlich sind allerdings zahlreiche Schlampereien und kleinere Fehler bei der Übersetzung. Da wird „offal from sheep“ etwa mit „Dung von Schafen“ übersetzt. Leserinnen und Leser werden so glauben gemacht, daß die BSE-Seuche (Rinderwahnsinn) von Schafen auf Rinder übertragen worden wäre, weil Rinder mit dem „Dung infizierter Schafe gefüttert“ wurden. Veterinärmediziner vermuten aber vielmehr, daß die Seuche durch das Verfüttern von Tiermehl auf die Rinder übertragen worden ist. An der Traber- Krankheit verendete Schafe waren in entsprechenden Fabriken zu Tiermehl verarbeitet worden, „offal“ sind nämlich „Reste“ von Schafen. Für andere Fehler muß Rifkin selber geradestehen. So sind offensichtlich die Stiere mit ihm durchgegangen, als er die heutige Überweidung der ostafrikanischen Savannen auf die dort angeblich lebenden 23 Millionen Rinder stützte. Die Zahl stammt, wie die Literaturangabe zeigt, aus einem 24 Jahre alten Buch. Auch das Zahlenmaterial zum Wachstum der Sahara ist 10 bis 20 Jahre alt. Jeremy Rifkins Buch klärt auf. Wer es wahrnehmen will, erfährt: Wir Rindfleischfresser sind eine tödliche Gefahr für die Menschheit. Hören wir denn deshalb gleich auf?
Lester Brown, von Rifkin viel zitierter Chef des Worldwatch Institute in Washington, ist da skeptisch: „Keine moderne Gesellschaft hat je freiwillig den Genuß von Fleisch, Milch und Eiern substantiell reduziert.“ Andererseits, wenn wir dem Markt die Lösung der Ernährungsfrage überlassen, werden diejenigen, die nicht über Marktmittel verfügen, verhungern. Gibt es also nur die Alternative: Verhungern oder ins (rind-)fleischlose Zeitalter?
Jeremy Rifkin: „Das Imperium der Rinder“. Aus dem Amerikanischen von Waltraud Götting, mit einem Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1994, 277 Seiten, 36 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen