: Die Stunde der Schnarchnasen
■ „Clockwork Orange“ im Stadttheater Bremerhaven: ein saft- und kraftloser Versuch, die aktuelle Gewaltdebatte zu befördern
In ihrer Not, auf die Zeichen der Zeit pünktlich und zeitgemäß reagieren zu müssen, entdecken Deutschlands Bühnen einen Kultfilm samt Buch wieder: „Clockwork Orange“, von Anthony Burgess geschrieben und von Stanley Kubrick meisterhaft verfilmt, wird zum Uhrwerk der Stunde erklärt. Was dabei herauskommen kann, zeigt nun auch Bremerhavens Stadttheater exemplarisch: Viel Lärm um Wenig, ein dünner Aufguß des starken, beklemmenden Originals. Die Inszenierung des Bremerhavener Oberspielleiters Manfred Repp ist ein gutgemeintes Sentenzen-Theater – mehr schon nicht. „Es gibt nichts, wogegen man richtig kämpfen kann; alles ist so leicht“, jammert der arme Alex.
Bei Burgess ist Alex ein 15jähriger, der als Anführer einer bizarren Jugendclique nächtens mordend und vergewaltigend durch die öden Vororte einer englischen Metropole zieht. In Bremerhaven angekommen, hat die Gang jede Gefährlichkeit verloren. In den ersten Szenen überfallen die „Droogs“ einen Intellektuellen, rauben und zerstören seine Bücher, sie töten einen alten Mann – und wirken trotzdem wie eine alberne und kraftlose Altherren-Riege. Der Schrecken von einst ist zur unfreiwillig komischen Nummer verkümmert.
Dabei hat ihnen Wolf Gross für alle Außen- und Innenräume ein atmosphärisch stimmiges Bild gebaut. Ein schlichtes, mobiles Baugerüst grenzt die Bühne ein, verschiedene Plattformen schaffen weitere Spielebenen. Darauf entwickelt sich allerdings ein spannungsloses Spiel mit hölzernen Dialogen, die aus dem Stück bis zur Pause ein Debakel machen.
Gewalt wird hier weder authentisch dargestellt noch künstlich stilisiert oder satirisch ins Groteske gesteigert (wie bei Kubrick). Da Repp sich für nichts so recht entscheiden kann, läßt er seinen Hauptdarsteller Martin Kemner (Alex) im Ungefähren hängen. So hat dieser große Mühe, der tragenden Figur Leben einzuhauchen. Erst kurz vor Schluß taut er allmählich auf. Von seinen Freunden an die Polizei verraten, wird Alex einer verhängnisvollen Therapie ausgesetzt, die seinen Willen bricht und zum zwanghaften Anpasser macht, zum friedlichen Mitbürger. Im Schlußbild ist er nur mehr eine Schablonenfigur, ein Maschinenmensch, der seiner kinderbackenden Frau pausenlos mechanisch auf den Po klapst.
Der Abend hielt aber auch eine Überraschung bereit: Stephan Benger. Der junge Sänger und Gitarrist ist das pulsierende Herzstück der Inszenierung. Seine Musik hält die saftlose Orange zusammen. Sie soll Alex' Gefühle ausdrücken, aber der faszinierend sichere Musiker drückt nur sich selbst aus – und das ist in diesem Fall gut so. Ohne Bengers klare und kräftige Stimme, ohne seine Improvisationen und sanften Balladen wäre die Inszenierung vollends in sich zusammengefallen. Hans Happel
Weitere Aufführungen am 1., 7. und 22.4.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen